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Nacht in Havanna

Nacht in Havanna

Titel: Nacht in Havanna
Autoren: Martin Cruz Smith
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Bewegung setzten. Vor einem zweistöckigen Haus, das mit Skarabäi, Henkelkreuzen und Lotusblüten aus Stuck verziert war wie ein ägyptisches Grabmal, stiegen sie aus. Im Vorgarten stand ein aufgebockter Wagen amerikanischen Fabrikats.
    »57er Chevrolet.« Rufo warf einen Blick in das ausgeweidete Innere des Wagens und strich mit der Hand über den fleckigen Lack. Vom Heck - »Heckflossen« - bis zur vorderen Stoßstange - »und Titten«.
    Arkadi hatte an dem Schlüssel erkannt, daß Pribluda einen Lada besaß. Russische Autos hatten keine Brüste. Als sie das Haus betraten und die Treppe hinaufgingen, öffnete sich die Tür der Wohnung im Erdgeschoß so weit, daß eine Frau in einem Hauskleid ihren Aufstieg beobachten konnte. »Eine Concierge?« fragte Arkadi.
    »Eine Schnüfflerin. Aber keine Sorge, abends schaut sie fern und hört gar nichts mehr.«
    »Ich fliege doch heute nacht zurück.«
     
    »Ach ja, richtig.« Rufo öffnete die Tür im oberen Stockwerk. »Dies ist ein offizielles Apartment der Botschaft für Gäste der Regierung. Nun ja, nicht besonders hohe Gäste. Ich glaube, wir hatten seit einem Jahr niemanden mehr hier.«
    »Kommt jemand von der Botschaft, um mit mir über Pribluda zu sprechen?«
    »Der einzige, der über Pribluda sprechen will, sind Sie. Mögen Sie Zigarren?«
    »Ich habe noch nie eine Zigarre geraucht.«
    »Nun, wir reden später darüber. Um Mitternacht bin ich zurück, um Sie zum Flugzeug zu bringen. Wenn Sie glauben, der Flug nach Havanna habe lange gedauert, dann warten Sie mal, bis Sie nach Moskau zurückkommen.«
     
    Die Möblierung des Apartments bestand aus einem Satz creme- und goldfarbener Eßzimmerstühle, einer Anrichte mit Kaffeegeschirr, einem klobigen Sofa, einem roten Telefon und einem Bücherregal mit Titeln wie La Amistad Russo-Cubano und Fidel y Arte, die von erotisch geformten Buchstützen aus Mahagoni gehalten wurden. In einem ausgestöpselten Kühlschrank lag ein Laib Bimbo Bread, der mit Schimmel bedeckt war. Die Lüftung funktionierte nicht und wies die verkohlten Spuren eines Kabelbrandes auf. Arkadi dachte, daß er wahrscheinlich selbst ein paar Brandspuren aufwies.
    Er zog sich aus und duschte in einer gekachelten Duschkabine, in der das Wasser aus allen Hähnen sprudelte. Er wusch den Geruch der Autopsie von seiner Haut und aus seinen Haaren. Er trocknete sich mit dem Fetzen von einem Handtuch ab, der neben der Dusche hing, streckte sich unter seinem Mantel im Dunkel des Zimmers auf dem Bett aus und lauschte den Stimmen und der Musik, die durch die geschlossenen Fensterläden hereindrangen. Er träumte, er würde zwischen spielenden Fischen in der Bucht von Havanna treiben. Er träumte, er würde nach Moskau zurückfliegen und niemals landen, sondern immer weiter in der Nacht kreisen.
    Das taten russische Flugzeuge manchmal, wenn ihre Instrumente aus Altersschwäche versagten. Doch auch andere Faktoren konnten eine Rolle spielen. Wenn der Pilot zu einer zweiten Landung ansetzte, mußte er den zusätzlich verbrauchten Treibstoff vielleicht aus eigener Tasche bezahlen, also wagte er es im ersten Anlauf, gut oder nicht. Manchmal waren die Flugzeuge auch überladen oder auf Reserve.
    Er war beides.
    Kreisen klang gut.
    Kommissarin Osorio steuerte einen weißen PNR-Lada über eine Straße voller Schlaglöcher. Sie redete, wie sie fuhr, schnell,sicher und jedes >S< der russischen Sprache auslassend, das ihr überflüssig erschien. Da Arkadis Spanischkenntnisse sich auf gracias und por favor beschränkten, war er nicht allzu kritisch, auch wenn sie am frühen Abend ohne Vorwarnung aufgetaucht war und ihn eilig eingeladen hatte.
    »Sie wollten die Wohnung Ihres Freundes sehen«, sagte sie. »Also fahren wir hin.«
    »Um mehr habe ich nicht gebeten.«
    »Doch, Sie haben um sehr viel mehr gebeten. Ich glaube, Sie weigern sich, Ihren Freund zu identifizieren, weil Sie denken, Sie können uns so zu einer Ermittlung zwingen.«
    »Ich nehme an, Sie wollen sichergehen, daß Sie die richtige Leiche nach Moskau schicken.«
    »Halten Sie es für unmöglich, daß er so auf dem Wasser unterwegs war, wie wir ihn gefunden haben? Wie ein Kubaner?«
    »Es kommt mir zumindest ungewöhnlich vor.«
    »Ich finde es ungewöhnlich, daß Sie aufgrund einer Nachricht aus der Botschaft in Havanna alles stehen- und liegenlassen, um herzukommen. Das ist ungewöhnlich. Das muß sehr teuer gewesen sein.«
     
    Hin- und Rückflug hatten die Hälfte seiner Ersparnisse aufgebraucht, aber wofür
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