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Nacht in Havanna

Nacht in Havanna

Titel: Nacht in Havanna
Autoren: Martin Cruz Smith
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sagte Rufo, »aber wer immer wegen dieser Nachricht recht hat oder nicht, Sie sind hier, und die Leiche ist hier.«
    »Es hätte also gar nicht besser auskommen können?«
    »Gewissermaßen.«
    Kommissarin Osorio gab den Befehl, daß das Boot Abstand halten sollte, damit die Leiche nicht in sein Kielwasser geriet. Der Scheinwerfer des Bootes und der heller werdende Himmel ließen ihr Gesicht strahlen.
    »Die Kubaner mögen die Russen nicht«, sagte Rufo. »Das hat nichts mit Ihnen zu tun, es ist einfach kein guter Ort für Russen.«
    »Wo wäre denn ein guter Ort?«
    »Na ja…« Rufo zuckte die Schultern.
    Arkadi erkannte jetzt, daß diese Seite des Hafens eher wie ein kleines Dorf aussah. Ein Hügel mit Bananenstauden erhob sich hinter einer Reihe verlassener Häuser, die einen Wall säumten, der mehr an einen Zementbordstein als an eine Kaimauer erinnerte und sich von einem Kohlendock zur Anlegestelle einer Fähre erstreckte. Ein hölzerner Steg balancierte auf schwarzen Pfählen und fing alles auf, was angeschwemmt wurde. Der Tag würde warm werden. Das erkannte Arkadi am Geruch.
    »Vaya y cambiar tu cara, amigo. Feo, feo, feo como horror, senor.«
    In Moskau wäre die Sonne im Januar wie ein schwaches Licht hinter Reispapier über den Horizont gekrochen. Hier war sie eine lodernde Fackel, die Luft und Bucht in Spiegel verwandelte, zunächst nickelfarben, dann von einem kraftvollen wogenden Rosa. Viele Dinge wurden mit einem Mal sichtbar. Eine malerische Fähre, die die Anlegestelle ansteuerte. Kleine Fischerboote, die beinahe in Reichweite vor Anker lagen. Arkadi bemerkte, daß in dem Dorf hinter ihm nicht nur Bananen wuchsen; die Sonne stöberte Kokospalmen, Hibiskus und rot-gelbe Bäume auf. Das Wasser um die Pfähle begann den schillernden Glanz von Petroleum anzunehmen.
    Der Befehl der Kommissarin, die Videokamera zu betätigen, war für die Schaulustigen das Signal, gegen die Absperrung zu drängen. Die Anlegestelle der Fähre füllte sich mit Pendlern, alle Gesichter waren in Richtung Pfähle gewendet, wo im Licht des erwachenden Tages eine Leiche trieb, die genauso schwarz war wie der Schlauch, in dem sie hing. Hemd und Shorts waren durch die Ausdehnung des Körpers aufgeplatzt. Hände und Füße hingen im Wasser, an einem Fuß baumelte eine Schwimmflosse. Der Kopf war augenlos und aufgebläht wie ein schwarzer Ballon.
    »Un neumätico«, erklärte Rufo Arkadi. »Ein neumätico ist ein Fischer, der mit einem Schlauch fischt oder, genauer gesagt, mit einem Netz, das man über den Reifen spannt. Wie eine Hängematte. Sehr genial, sehr kubanisch.«
    »Der Schlauch ist sein Boot?«
    »Besser als ein Boot. Ein Boot braucht Benzin.«
    Arkadi dachte darüber nach.
    »Viel besser.«
    Ein Taucher glitt von dem Polizeiboot ins Wasser, während sich ein zweiter Beamter in hohen Gummistiefeln über die Ufermauer hangelte. Sie kletterten und wateten zwischen Hummerkörben und Matratzenfedern umher, bemüht, verborgene Nägel und verunreinigtes Wasser zu meiden, bis sie den Schlauch so weit in eine Ecke getrieben hatten, daß er nicht mehr wegschwimmen konnte. Von der Ufermauer wurde ein Netz heruntergeworfen, um den Schlauch samt Leiche zu bergen. Soweit hätte Arkadi das gleiche gemacht. Manchmal waren die Ereignisse schlicht eine Frage des Glücks.
    Der Taucher trat in ein Loch und ging unter. Keuchend tauchte er wieder aus dem Wasser auf und griff zunächst nach dem Schlauch, dann nach dem baumelnden Fuß, der sich sofort von der Leiche löste. Der Schlauch wurde gegen die Spitze einer Matratzenfeder gedrückt und beschädigt, so daß die Luft zu entweichen begann. Als der abgerissene Fuß sich in Gelee verwandelte, rief Kommissarin Osorio dem Beamten zu, er solle ihn ans Ufer werfen: eine klassische Konfrontation zwischen Amtsgewalt und vulgärem Tod, dachte Arkadi. Die Schaulustigen entlang der Absperrung johlten, klatschten und lachten.
    »Sehen Sie«, sagte Rufo, »normalerweise ist unser Kompetenzlevel ziemlich hoch, aber Russen haben diese Wirkung. Das wird Ihnen der Capitán niemals verzeihen.«
    Die Kamera nahm das Debakel weiter auf, während ein weiterer Polizist ins Wasser sprang. Arkadi hoffte, daß die Linse auch erfassen würde, wie das Licht der aufgehenden Sonne sich in den Fenstern der Fähre spiegelte. Der Schlauch begann zu sinken. Schreie flogen zwischen der Kommissarin und dem Polizeiboot hin und her. Je verzweifelter die Männer im Wasser die Situation zu retten suchten, desto schlimmer wurde
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