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Nacht in Havanna

Nacht in Havanna

Titel: Nacht in Havanna
Autoren: Martin Cruz Smith
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ihre Farbenpracht und von den Laternen nur schwach beleuchtet sahen sie aus wie bewohnte Ruinen. Im Schatten einer langen Arkade öffnete Osorio eine Haustür und ging über eine Treppe zu einer Stahltür voran, die in ein Wohnzimmer führte, das aussah, als wäre es komplett aus Moskau angeliefert worden: gedämpftes Licht, Stereoanlage, Schachspiel, eine von innen gepolsterte Wohnungstür, Spitzenvorhänge vor den Balkontüren. Die eine Wand war nostalgisch mit Hammer und Sichel auf roter Seide geschmückt. Ein Tablett mit Wassergläsern, ein Salzgefäß. Auf den Regalen reihten sich geschnitzte Andenken: Hähne, Bären, mehrere Figuren des heiligen Basilius. Plastikefeu und -nelken zierten eine Kochnische mit einem Zweiflammengasherd, Kühlschrank und Butangasflaschen. Unter dem Waschbecken standen mehrere Flaschen »Havana Club«-Rum und Stolitschnaja. Etwas deplaziert wirkte nur ein schwarzer Mann in einem weißen Hemd und einem roten Stirnband um den Kopf sowie Reebok-Basketballschuhen an den Füßen, der auf einem Stuhl in der Ecke saß und einen langen geraden Spazierstock in der Hand hielt. Für einen Moment stockte Arkadi der Atem, bis er erkannte, daß die Figur eine lebensgroße Puppe war. Stirn und Nase, Mund und Ohren waren nur grob angedeutet, so daß die Glasaugen um so echter wirkten. »Was ist denn das?«
    »Chango.«
    »Chango?«
    »Ein Santeria-Geist.«
    »Ach so. Und was wollte Pribluda damit?«
    »Ich weiß nicht. Deswegen sind wir nicht hier«, sagte Kommissarin Osorio. Sie waren offenbar deshalb gekommen, um zu begutachten, wie sorgfältig sie die gesamte Wohnung auf Fingerabdrücke untersucht hatte, jede Tür, jeden Türrahmen, jeden Knauf. Einige der Abdrücke waren gesichert worden, wie man an den Klebestreifen der Folien erkennen konnte. Doch zahlreiche Abdrücke waren noch als fachmännisch sichtbar gemachte, braune Wirbel zu erkennen.
    »Waren Sie das?« fragte er die Kommissarin. »Ja.«
    »Braunes Pulver?«
    »Kubanisches Fingerabdruckpulver. In der momentanen speziellen Periode ist importiertes Pulver zu teuer. Wir stellen unser eigenes Pulver aus verbrannten Bananenblättern her.« Sie hatte keine erfolgversprechende Stelle ausgelassen. Unter der Lampe hockte einsam und traurig eine kleine Schildkröte in einer Schüssel mit Sand. Das perfekte Haustier für einen Spion, dachte Arkadi. Auf dem Panzer prangte ein brauner Fingerabdruck. »Pribluda hätte eine offizielle Dienstunterkunft bekommen können«, sagte sie, »doch statt dessen hat er hier illegal zur Miete gewohnt; sein Vermieter ist der Kubaner, der unter ihm wohnt.«
    »Warum, glauben Sie, hat er das gemacht?«
     
    Als Antwort öffnete sie die Balkontüren, die Vorhänge hoben sich in der hereinströmenden Brise wie Flügel. Arkadi trat zwischen zwei Aluminiumstühlen hinaus an die Marmorbrüstung und blickte in die Kuppel des Nachthimmels und auf den Malecon, der sich als ein elegant geschwungenes Band von Laternen präsentierte. Jenseits der Mole flackerten das Licht eines Leuchtturms und die Deckbeleuchtung eines Frachters samt Lotsenboot auf, die in die Bucht einliefen. Nachdem seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte er auch die blasseren Schandecklampen der Fischerboote und näher am Ufer ein breit gestreutes Schimmern von Kerzen ausmachen. »Neumäticos«, sagte Kommissarin Osorio. Arkadi malte sich eine Flotte von Reifenschläuchen aus, die auf der schwarzen Dünung dahintrieben. »Warum war die Tür nicht polizeilich versiegelt?« fragte er. »Weil wir nicht ermitteln.«
    »Und was machen wir dann hier?«
    »Wir sorgen für Ihren Seelenfrieden.«
    Sie gab Arkadi ein Zeichen, ihr durch das Wohnzimmer in den Flur zu folgen, vorbei an einem Wäschezimmer in ein Büro, in dem ein uralter Holzschreibtisch mit Computer und Drucker sowie Regale standen, die mit Ordnern des kubanischen Zuckerministeriums und Fotoalben vollgestopft waren. Unter dem Drucker standen zwei Koffer, ein brauner Lederkoffer und ein außergewöhnlich häßlicher grüner Plastikkoffer. Die Wände waren mit Karten von Kuba und Havanna bedeckt. Arkadi erkannte, daß Kuba eine große Insel war, zwölfhundert Kilometer lang, auf der Karte mit Kreuzen markiert. Er schlug eines der Alben auf und fand Fotos von etwas, das aussah wie grüner Bambus.
    »Zuckerrohrfelder«, sagte die Kommissarin. »Pribluda wird sie besucht haben, weil wir uns dummerweise von russischen Erntehelfern abhängig gemacht haben.«
    »Ach so.« Arkadi legte das
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