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Nacht in Havanna

Nacht in Havanna

Titel: Nacht in Havanna
Autoren: Martin Cruz Smith
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es einmal an.«
    »Erinnern Sie sich, daß Sie bei der Obduktion zu Capitán Arcos gesagt haben, daß dies für einen Russen eine seltsame Angelmethode wäre?«
    »In einem Reifenschlauch auf dem Meer? Ja, ich habe zumindest noch nie zuvor davon gehört.«
    Die Kommissarin führte ihn zurück in das Wäschezimmer und schaltete eine von der Decke hängende Glühbirne ein. Jetzt erkannte er neben dem steinernen Waschbecken und der Wäscheleine Angelschnur- und Drahtrollen sowie ein einfaches Regal aus Apfelsinenkisten mit Gefäßen, die nach Größe geordnete Knäuel häßlicher Haken enthielten. Jedes der Gefäße war mit Pulver bestäubt und mit deutlichen Abdrücken übersät. Osorio gab Arkadi eine Karteikarte mit Fingerabdrücken. Sofort erkannte Arkadi einen großen Abdruck mit einem unverwechselbaren, von einer Narbe durchkreuzten Wirbel, der mit den Abdrücken auf den Flaschen identisch war. Auch auf einem der Gefäße entdeckte er denselben sorgfältig präparierten Abdruck.
    »Er war Rechtshänder?« fragte sie.
    »Ja.«
    »An dem Winkel kann man erkennen, wie er das Gefäß gehalten hat, die Abdrücke auf dem Gefäß stammen von seinem rechten Daumen und Zeigefinger und die Abdrücke auf dem Glas von seinem linken Daumen und Zeigefinger. Sie sind in allen Zimmern, auf den Türen, den Spiegeln, überall. Wie Sie also sehen können, war Ihr russischer Freund ein kubanischer Fischer.«
    »Wie lange hat die Leiche im Wasser gelegen?«
    »Laut Dr. Blas etwa zwei Wochen.«
    »Und in der Zwischenzeit ist niemand hier gewesen?«
    »Nein. Ich habe die Nachbarn gefragt.«
    »Dann muß diese Schildkröte ja ziemlich hungrig sein.«
    Arkadi kehrte ins vordere Zimmer zurück und prägte sich aus Gewohnheit den Schnitt der Wohnung ein: Balkon, Wohnzimmer, Wäschezimmer, Büro, Bad und Schlafzimmer. Im Kühlschrank fand er Joghurt, Blattgemüse, Auberginen, marinierte Pilze, gekochte Zunge und ein halbes Dutzend 35-Millimeter-Filmdöschen. Er fütterte die Schildkröte mit Gurkenkraut und warf einen Blick auf die schwarze Puppe in der Ecke. »Ich muß gestehen, daß ich einige neue Aspekte an dem Mann entdeckt habe, den ich zu kennen glaubte. Haben Sie seinen Wagen gefunden?«
    »Nein.«
    »Kennen Sie die Marke?«
    »Lada.« Sie schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Es spielt keine Rolle. Ihr Flug geht in vier Stunden. Die Leiche wird für den Transport per Flugzeug vorbereitet. Sie werden sie begleiten. Abgemacht?«
    »Ich denke, das werde ich wohl.«
    Kommissarin Osorio runzelte die Stirn, als hätte sie in dieser Antwort die Nuance einer Einschränkung gehört.
     
    Auf der Rückfahrt fragte sie ihn: »Sagen Sie, aus reiner Neugier, sind Sie ein einigermaßen guter Ermittler?«
    »Nicht besonders.«
    »Warum nicht?«
    »Aus verschiedenen Gründen. Ich hatte eine recht gute Erfolgsquote, wie Ihr Capitán das wohl nennen würde. Doch das war zu einer Zeit, als die Morde in Moskau noch amateurhafte Angelegenheiten mit Stahlrohren und Wodkaflaschen waren. Heutzutage sind das Profijobs mit schwerer Artillerie. Außerdem war die Arbeit für die Miliz zwar nie besonders gut bezahlt, aber man bekam sein Geld. Aber nachdem die Milizangehörigen seit nunmehr einem halben Jahr kein Gehalt mehr gesehen haben, sind sie einfach nicht mehr mit dem gleichen Eifer bei der Sache. Und wenn man wirklich Fortschritte bei der Ermittlung eines Auftragsmordes macht, stößt man auf das Problem, daß der Mann, der den Mord befohlen hat, den Staatsanwalt zum Mittagessen einlädt und ihm eine Eigentumswohnung auf Jalta anbietet, worauf die Ermittlungen meist eingestellt werden. Deshalb ist meine Erfolgsquote nichts mehr, worauf man besonders stolz sein könnte. Und meine Fertigkeiten sind ohne Zweifel auch nicht mehr das, was sie einmal waren.«
    »Sie haben so viele Fragen gestellt.«
    »Reine Gewohnheit.« Er spulte ein mechanisches Programm ab, dachte Arkadi, als ob sein Körper ein Anzug sei, der aus eigenem Antrieb zum Tatort schlurfte, zu jedem Tatort, wo auch immer. Er ärgerte sich mehr über sich selbst als über sie. Warum hatte er überhaupt angefangen herumzuschnüffeln? Es reichte. Kommissarin Osorio hatte recht. Er spürte ihren Blick, aber nur für einen Moment. Weil in dem Viertel der Strom ausgefallen war, mußte sie manche Straßen so behutsam durchfahren, als würde sie ein Boot durch die Dunkelheit steuern. In Arkadis Gedanken lockte die Spritze, die Nadel seines persönlichen Kompasses. Als sie wegen ein paar Ziegen, die
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