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Nacht in Havanna

Nacht in Havanna

Titel: Nacht in Havanna
Autoren: Martin Cruz Smith
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sparte er schon groß? Jedenfalls kam ihm alles an Havanna ungewöhnlich vor, einschließlich dieser Beamtin, obwohl er die Mischung aus kleinem Wuchs und gebieterischem Auftreten irgendwie rührend fand. Sie hatte zarte, aber klar konturierte Gesichtszüge und dunkle Augen, die vor lauter Argwohn noch dunkler wirkten, als wäre sie ein Teufelslehrling, den man mit einer besonders schwierigen Seele betraut hatte. Außerdem mochte er ihre sportliche PNR-Mütze mit dem Plastikschirm.
    »Erzählen Sie mir von Ihrem Freund«, forderte sie ihn auf.
    »Interessiert es Sie?« Darauf bekam er keine Antwort. Nun gut, er fischte im trüben. »Sergej Sergejewitsch Pribluda. Arbeitersohn aus Swerdlowsk. Schloß sich in der Armee dem Komitee für Staatssicherheit an. Ausbildung an der Parteischule in Frunse. Acht Jahre in Iwanow stationiert, achtzehn Jahre in Moskau, Aufstieg bis zum Oberst. Held der Arbeit und für besondere Tapferkeit ausgezeichnet. Frau seit zehn Jahren tot; ein Sohn, der Manager in einer Filiale einer amerikanischen Fastfood-Kette in Moskau ist. Ich wußte nicht, daß Pribluda je im Ausland stationiert war oder Spanisch gelernt hat. Politisch reaktionär, Parteimitglied. Interessen: die Eishockeymannschaft der Zentralarmee. Gesundheit: robust. Hobbys: Gärtnern.«
    »Kein Trinker?«
    »Er destillierte aromatisierten Wodka, das gehört zum Gärtnern dazu.«
    »Nichts mit Kultur, den schönen Künsten?«
    »Pribluda? Wohl kaum.«
    »Sie haben zusammengearbeitet.«
     
    »Gewissermaßen. Er hat versucht, mich umzubringen. Es war eine komplizierte Freundschaft.« Arkadi erzählte ihr die Kurzfassung. »Es ging um einen Mordfall in Moskau mit politischen Implikationen. Damals verdächtigte er eine Dissidentin. Da ich sie für unschuldig hielt, wurde ich selbst zum Verdächtigen, und Pribluda erhielt den Auftrag, mir einen Neungrammbrief in den Hinterkopf zuzustellen, wie wir das nennen. Doch zu diesem Zeitpunkt hatten wir schon geraume Zeit miteinander verbracht, und dabei habe ich entdeckt, daß er eine eigenartig ehrliche Seite besaß, und er konnte feststellen, daß ich, wie Sie sagen, etwas von einem idiota hatte. Und als er den Befehl erhielt, mich zu erschießen, tat er es nicht. Ich weiß nicht, ob Sie das eine Freundschaft nennen würden, aber darauf gründete sich unsere Beziehung.«
    »Er hat einen Befehl mißachtet? Dafür gibt es nie eine Entschuldigung.«
    »Weiß Gott. Er pflanzte sein eigenes Gemüse. Nach dem Tod seiner Frau habe ich ihn manchmal besucht, und wir haben seinen Wodka getrunken und seine Gurken gegessen, während er mich daran erinnerte, daß nicht jeder Gast in den Genuß kommt, mit seinem Henker zu speisen. Rote Essigtomaten, grüne Essigtomaten, Paprika und dunkles Brot zum Essen. Zitronen- und Büffelgras als Aroma für den Wodka.«
    »Sie sagten, er war ein Kommunist.«
    »Ein guter Kommunist. Er hätte sich dem Putsch der Partei angeschlossen, wenn der nicht, wie er sich ausdrückte, von Schwachsinnigen angeführt worden wäre. Statt dessen trank er, bis alles vorbei war, und zog sich immer mehr zurück. Er hat gesagt, wir seien keine echten Russen mehr, bloß Eunuchen, und daß Castro der letzte wahre Kommunist überhaupt sei.« Arkadi hatte das damals für das Gerede eines Betrunkenen gehalten, ein Detail, das er der Kommissarin gegenüber tunlichst verschwieg. »Er hat gesagt, er wolle sich nach einem Posten außerhalb Moskaus umsehen. Ich hatte keine Ahnung, daß er Kuba meinte.«
    »Wann haben Sie den Oberst zum letzen Mal gesehen?«
    »Vor mehr als einem Jahr.«
    »Aber Sie waren doch Freunde.«
    »Meine Frau mochte ihn nicht.«
    »Warum nicht?«
    »Eine alte Rechnung. Warum hat der Capitán das Bild von Pribluda und seinen Freunden zurückgewiesen?« fragte Arkadi. »Er wird seine Gründe haben«, sagte die Kommissarin in einem Tonfall, der andeutete, daß sie sie ebenfalls nicht begriff. Jasmin lag auf den Mauern wie Schnee, die Mülltonnen quollen über von Obstschalen, die einen durchdringenden süßlichen Geruch verbreiteten.
     
    2
     
    Die Bucht wurde eingefaßt vom Malecon, wie Kommissarin Osorio die Hafenmole nannte, die einen sechsspurigen Boulevard und eine Reihe von dreistöckigen Häusern mit Blick aufs Meer schützte. Der Ozean war schwarz, und der Verkehr auf dem Boulevard bestand nur aus den Lichtern vereinzelter Autos. Die Gebäude waren das gleiche grellbunte Ensemble, das Arkadi bei Tagesanbruch von der anderen Seite der Bucht aus gesehen hatte; ohne
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