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Nachdenken ueber Christa T.

Nachdenken ueber Christa T.

Titel: Nachdenken ueber Christa T.
Autoren: Christa Wolf
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oder lacht ...
    Aber wir lachten nicht, beileibe nicht. Eher warfen wir uns in den nächsten Straßengraben und weinten, das war wenigstens etwas. Die Geschichte von unserem verlorenen und nach Jahren wiedergefundenen Lachen ist eine andere Geschichte.

2
    Oder auch nicht. Merkwürdig, wie alle Geschichten aus dieser Zeit sich von selbst zu ihr, zu Christa T., in Bezug bringen. Wer hätte das zu ihren Lebzeiten gedacht? Oder braucht man nur darauf zu bestehen, daß ihre Lebenszeit weitergeht bis auf den heutigen Tag, um den Bezug auf alles zu haben, was Geschichte wird oder unförmig bleibt, Material?
    Sie hat, was man nur vermuten konnte, die äußerste Abneigung gegen das Ungeformte gehabt. Das ist das Zeichen, wenn es überhaupt eins gibt. Hat, als es wahrhaftig darum ging, mit leichtem Gepäck davonzukommen, doch ein Büchlein bei sich behalten, das nun in meine Hände gefallen ist, lose Blätter nur noch, in blaue Blümchenseideeingebunden, und auf dem Deckel steht in kindlicher Krakelschrift: Ich möchte gerne dichten und liebe auch Geschichten .
    Die Zehnjährige, im Ton einer Feststellung. Dichten, dicht machen, die Sprache hilft. Was denn dicht machen und wogegen? Hat sie es denn nötig gehabt inmitten ihrer Gewißheiten? Inmitten ihres festen Hauses, inmitten des Dorfes, über das die Jungen ein Segelflugzeug kreisen ließen, und auf die Tragflächen hatten sie in großen schwarzen Buchstaben ihren Namen gemalt? Inmitten der dunklen Wälder, Kiefern übrigens, hochstämmig wie überall in unserer Gegend, oder das, was man Busch nennt. Der Himmel heiterer, weißere Schönwetterwolken als irgendwo: auch das setzen wir stillschweigend unter die Gewißheiten. Und Erwin natürlich, den Schmiedejungen, dessen gußeiserner Ring in einem Geheimfach des Tagebuchs ruht, wovon er nichts zu wissen braucht. So wie man selbst nicht ahnt, daß Großvater, der von Löwenjagden erzählt wie kein zweiter, niemals in Afrika gewesen ist; aber ein Mann, der mit Bienen umgehen kann wie er – was sollte dem unmöglich sein?
    »Ein Kanadier, der Europens übertünchte Höflichkeit nicht kannte«, das war sein Lieblingsvers, und daran sieht man, was für ein Mann er war. Im Gegensatz zum Vater, dem Dorfschullehrer T., der Ölbilder malt und in alten Kirchenbüchern die Geschichte des Dorfes auskundschaftet, zum Mißvergnügen schließlich des Rittmeisters, dem das Gut gehört und der nicht ruhig zusieht, wie seine Familie schlecht abschneidet in den Aufzeichnungen des Dorfschulmeisters, dieses kränklichen Mannes, der nicht zum Militärdienst taugt, aberseine jüngere Tochter, diesen halben Bengel mit dem Jungennamen, mit den Dorfgören zusammen in den gutseigenen Wald nach Pilzen schickt, ohne Sammelschein, versteht sich, und in den Gutsgarten auf die Apfelbäume, so daß der Vogt die ganze Bande mit »Steinelesen« auf den Äckern des Herrn Rittmeisters bestrafen muß.
    Sternkind – kein Herrnkind . Wer mag ihr das gesagt haben? Später hat sie es aufgeschrieben, kommentarlos unter die Gewißheiten gesetzt, sie wußte: Es stimmte; aber es wäre ungehörig gewesen, ein Wort darüber zu verlieren.
    Die Angst vor dem Vogt ist unwiderlegbar, stillschweigend ist anerkannt: kein Herrnkind. Dunkel unter Dunklen stehen, wenn Feuer abgebrannt werden. Schwarzrotgoldene Fahnen brennen, da ist man fünf Jahre, und die Schwester, wenig älter, kommt mit schreckensbleichem Gesicht und zerrt einen nach Hause, man geht mit und erwartet das Schlimmste, aber da sind nur im Wohnzimmer die Scheiben kaputt, es zieht, und niemand hat Licht gemacht, das soll plötzlich gefährlich sein. Da möchte man am liebsten die Großen aufklären, daß jedermann natürlich so schnell wie möglich ausreißt, wenn er den Mut gefaßt hat, irgendwo die Scheiben einzuschlagen. Doch man hört, der Melker vom Gut sei es gewesen, ein Erwachsener, und »Soziknecht« habe er dann gerufen, und nicht geflohen sei er, weil er mutig war durch seine neue Uniform.
    So behält man die brennenden Fahnen, nicht wegen der Flammen, denn auf dem Dorf brennt schnell mal was, sondern wegen der Gesichter. Steht dann, mit fünfzehn, wieder unter den anderen, am Parktor diesmal, und dieFeuer sind Fackeln, und in ihrem flackernden Licht treten die festlich gekleideten Gutsbewohner mit ihren Gästen aus dem Portal, der frischgebackene Ritterkreuzträger mitten unter ihnen. Da ist man froh, daß man in der zweiten Reihe steht, dunkel unter Dunklen, daß der junge Herr Leutnant niemanden
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