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Nachdenken ueber Christa T.

Nachdenken ueber Christa T.

Titel: Nachdenken ueber Christa T.
Autoren: Christa Wolf
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mit ihnen in diese Ausstellung gehen. – Auf einmal weiß ich: Ich bin ja nicht mehr so jung wie sie, ich bin ja inzwischen alt geworden. Das Jugendgefühl erlischt in einem Augenblick, ich weiß: Für immer. Die Mützen liegen immer noch da, doch mir wird klar: Ich erinnere mich nur an sie. Obwohl ich sie doch damals, als wir wirklich jung waren, nie habe liegen sehen ... Merkwürdig war: Der Schmerz, den ich empfand, machte mich zugleich froh ...
    Wir haben uns neben die unfertigen Fundamente eines kleinen Sommerhauses ins Gras gelegt, in den Schatten einer knorrigen, zerzausten Kiefer. Der Himmel, wenn man lange genug hineinsieht, sinkt ja allmählich auf einen herunter, nur die Rufe der Kinder reißen ihn immer wieder hoch. Die Wärme der Erde dringt in uns ein und vermischt sich mit unserer eigenen Wärme. Manchmal sprechen wir noch, aber wenig. Was wir uns später zu sagen haben werden, können wir nur ahnen,auch Worte haben ihre Zeit und lassen sich nicht aus der Zukunft hervorziehen nach Bedarf. Zu wissen, daß sie einmal dasein werden, ist viel.
    In zwei, drei Stunden werden wir uns trennen. Sie wird mir den roten Mohn ins Auto reichen, den sie unterwegs gepflückt hat. Es macht dir doch nichts aus, daß er sich nicht hält? Nein, es macht mir nichts aus. Sie wird auf dem Weg stehenbleiben, grüßen. Vielleicht werden wir uns wiedersehen, vielleicht nicht. Jetzt haben wir zu lachen und zu winken.
    Christa T. wird zurückbleiben.
    Einmal wird man wissen wollen, wer sie war, wen man da vergißt. Wird sie sehen wollen, das verstände sie wohl. Wird sich fragen, ob denn da wirklich jene andere Gestalt noch gewesen ist, auf der die Trauer hartnäckig besteht. Wird sie, also, hervorzubringen haben, einmal. Daß die Zweifel verstummen und man sie sieht.
    Wann, wenn nicht jetzt?
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