Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nachdenken ueber Christa T.

Nachdenken ueber Christa T.

Titel: Nachdenken ueber Christa T.
Autoren: Christa Wolf
Vom Netzwerk:
so daß man sie belauern, überlisten, zur Raison bringen kann – fast wie Menschen. Ja, tatsächlich, sie haben etwas Menschliches, diese Krankheiten, man macht sich beinahe lächerlich, wenn man sie überschätzt. Wir haben sie im Griff. Sehen Sie sich doch Ihren HB-Status an: Wir haben ihn unter Kontrolle. Natürlich muckt das noch auf, das wird sie übrigens lange tun, die Krankheit – aber zur Macht kommen kann sie nicht mehr. Wir sind zur Macht gekommen, Sie, Sie selbst.
    Ich, denkt Christa T. nüchtern. Letzte Aufrichtigkeit, jetzt weiß sie auch, was das ist. Weiß nichts sicherer, als daß sie bleiben will, nun, da sie wieder »zu sich gekommen« ist. Ein Befehl aus Bezirken, deren Entscheidungen nicht anzuzweifeln sind. Aus den gleichen Bezirken, ebensowenig zweifelhaft, noch eine Entscheidung zum Leben, kam als Signal für höchste Gefahr die Todesangst. Angst von Enge. Das sind die Nächte, in denen man es schlechter weiß. Ich will leben und muß sterben. Ich. Das kann nicht nur, es wird verlorengehen. Nicht irgendwann, in Jahren, Jahrzehnten – also niemals –, sondern bald. Morgen schon. Jetzt.
    Einmal hat sie davon gesprochen, in halben Worten, am Abend jenes Julitages, da wir sie zum letztenmal sahen, da ich erschrocken war über ihre Veränderung, die sie »altern« nannte, da wir zusammen gebadet und dann um den runden Tisch zu Mittag gegessen hatten. Dawar sie schon wochenlang zu Hause, in ihrem neuen Haus, und rechnete täglich mit der Geburt des Kindes. Mit der Wiederholung jener ersten Krankenhausnächte muß sie nicht mehr gerechnet haben, so fing sie an, davon zu reden, wovon wir den ganzen Tag so angestrengt geschwiegen hatten. Sie nennt die Angst nicht bei ihrem Namen, sie sagt Schock, sie sagt Einsamkeit, Hilfsnamen. Als gäbe es ein Tabu, das sie anerkennt, und als sei »Angst« nun für immer nur noch ein anderes Wort für »Tod«. Sie muß erfahren haben, daß gegen den Tod kämpfen und gegen die Angst kämpfen ein und dasselbe ist. Sie hat uns, an jenem Juliabend, mit halben Worten diesen Zustand als empörend, als unzumutbar und fast anrüchig dargestellt. Als unwürdig und unerträglich. Hat sich wohl auch eingestanden, daß Täuschung und Rettung in solchen Fällen einander sehr ähnlich sind – täuschend ähnlich. Sie hat, fast bewußt, schien mir, die Täuschung als Rettung angenommen und in ihr gelebt.
    An Angeboten, sich abzufinden, hat es nicht gefehlt: Mit dreißig, glauben Sie mir, hat man alles wirklich Wichtige hinter sich. So der junge Arzt, der sich gern lässig gibt, als Unterhändler des Gegners. Den eigenen Kopf zum Komplicen der »anderen Seite« machen. Dieses Angebot annehmen, ein paar schwere Tage und Nächte, gewiß, aber dann ist man »durch«. Hat Ruhe. Frieden. Preis für Abgefundenhaben. Die Abfindungssumme, die immer unter dem Wert des verlorenen oder aufgegebenen Gegenstands liegt.
    Nein, Herr Doktor. Was Sie wollen, weiß ich. Aber mein Fall liegt anders: Ich habe das Wichtigste noch vor mir. Was sagen Sie dazu?
    Da zieht der Gegner seinen Parlamentär zurück, da läuft der über mit fliegender Fahne. Nun, es war nicht ernst gemeint, Gerede. Sie haben natürlich recht. Sie schaffen es. Sie werden sehen, Sie schaffen es schon.
    Du darfst ja sogar das Kind behalten, sagt Justus. Siehst du nicht, was das für ein gutes Zeichen ist?
    Das Kind? hat die Ärztin gesagt. Ich würde viel darum geben, wenn wir diesen Eingriff jetzt wagen könnten.
    Du schaffst es, sagte Justus. Was für ein Blödsinn. Natürlich schaffst du es.
    Dann hebt man sie auf eine Bahre und fährt sie aus dem Sterbezimmer. Jede Handreichung der Schwester ein Triumph, nur daß sie ihn etwas übertreibt. Das Wunder, nun ja. Man wird der Schwester nicht die Freude verderben. So glänzend ist ihr lange kein Wunder vorgekommen. Der Betroffene wartet vergeblich auf seinen Glanz. Er fühlt die nahe Verwandtschaft von Wunder und Wunde und ist eigentlich dagegen, daß man sich auf seine Kosten so übermäßig freuen darf, muß aber begreifen, daß er selber die Verantwortung für das reibungslose Funktionieren seines Wunders schon übernehmen muß.
    Damit haben sie ihn wieder, er ist wieder erreichbar. Jetzt hat er kein Recht mehr, sich einfach zur Wand zu drehen, ein gewisses besserwisserisches Lächeln aufzusetzen, so, als könne er allein wichtig von unwichtig unterscheiden. Die Totenallüren muß er schnell hinter sich lassen, dieses Mißtrauen vor allem, das auf geheimen Widerstand
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher