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Nachdenken ueber Christa T.

Nachdenken ueber Christa T.

Titel: Nachdenken ueber Christa T.
Autoren: Christa Wolf
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erstarren plötzlich. Kreischen. Da hat die Frau Pächter auf den Kater getreten, unseren guten schwarzen Kater, der ist sanft und alt, nun aber faucht er die Frau Pächter an, sie hat gekreischt, dann wird es still. Ahnungsvoll springt man ans Fenster, derMond scheint, da tritt der Pächter mit dem Kater aus der Tür, hat ihn gepackt, flucht gotteslästerlich, als er ihn an die Stallwand knallt. Das weiß man nun auch, wie es sich anhört, wenn Knochen knacken, wenn etwas, was eben noch lebendig war, dumpf zu Boden fällt. Und nun, zu allem Überfluß, denn der Pächter ist ein jähzorniger Mann, dabei gründlich: nun also noch der Ziegelstein. Da tritt man zurück, hält auch die Schwester ab, ans Fenster zu gehen, wundert sich nicht, daß sie, die Ältere, zum erstenmal gehorcht, fast als fürchte sie sich. Hat auch nie erfahren, wo der Kater geblieben ist. Um wieviel lieber soll ihn ein tollwütiger Hund gerissen haben als ein toller Mensch, um wieviel besser wäre er einsam verendet als unter den Augen des Vaters.
    So geht es zu, wenn wir nicht dabei sind.
    Da faßt man ein Mißtrauen gegen den hellen Tag und die glatten Gesichter. Nachts aber hockt der Kater einem auf der Brust, das große schwarze Tier, so daß man gezwungen ist, aufzustehen und umherzuwandern, zum Bett des Mädchens Annemarie, drohend sie aufzufordern, einem Platz zu machen, was die, angstzitternd, tatsächlich tut. Wenn man aber am nächsten Morgen im fremden Bett erwacht, hat man die Nacht vergessen, und das, in der Tat, ist beunruhigender als alles andere.
    Nicht dieses Mädchen, ein anderes, späteres war es wohl, das auf einmal »irre« wurde – irre woran? – und anfing, in den Spiegel zu starren, abwesend, verzweifelt und fremd zu sein, so daß einem alle Fremdheiten wieder einfielen, mit denen man selbst ja doch auch von klein auf zu tun gehabt. Seit dem Abend genaugenommen, da man aufhört, sich selbst mit Namen zu nennen,wie alle: Krischan – was man mehr als zwanzig Jahre später in den Skizzen, die ich gefunden habe, durchaus wieder versucht: Krischan ging, Krischan kam ... Das Kind am Abend geht nicht und kommt nicht. Es hat damit zu tun, allein zu sein mit einem Schmerz, den man aushalten muß, den man zum erstenmal nicht wegblasen lassen darf. Man weiß nicht, warum, aber so ist es. Gestern noch wäre man in die Küche gelaufen, wo die Schwester mit der Mutter die Abendsuppe kocht, allein, wie sie sich ausgebeten hat. Heute muß man statt dessen ans Tor gehen, die Hände um die Latten klammern, muß mit ansehen, wie die Zigeuner das Dorf verlassen und Anton und seine Frau mit den vier Kindern, Gutsarbeiter vom Mühlweg, sich ihnen anschließen. Schon wieder kann man nicht mehr tun, was man gestern noch getan hätte, »Kalle« rufen und winken. Den Feuerstein hochhalten, den er mir, vorige Woche erst, gegeben hat, sein Abschiedsgeschenk. Aber als einziger sieht der Zigeunerjunge das Kind; schneidet er der Zurückbleibenden eine Grimasse? Er, der frei ist, zu tun, was ihm beliebt. Heute früh beliebte ihm, auf offener Dorfstraße die Hosen herunterzulassen, einen Haufen zu setzen vor das Bürgermeisterhaus, nun beliebt ihm, zu verachten, was im Dorf zurückbleibt, auch mich. Der Schmerz kann noch größer werden. ICH, denkt das Kind, ICH bin anders. Da hat sich der grüne Wagen schon im Dunkel verloren, nichts als ein umgestürzter Handkarren bleibt zurück. Sehnsucht, ein bißchen Angst, Schmerz und etwas, was einer Geburt ähnelt. Haltbar genug, um es nach dreißig Jahren wieder aus sich hervorzuholen und niederzuschreiben. Wie wüßte ich sonst davon?
    Glück gehabt, Fräulein. So banal sprach das Leben selbst, der verläßliche Beifahrer, den Schnee noch in der Hand, mit dem er ihr Gesicht abgerieben hatte. Er habe schon so ein Gefühl gehabt, daß sie einschlafen werde, aber wie sollte man in dieser Nacht in weniger als drei Stunden eine Zugmaschine auftreiben? Sie will lachen, Christa T., sie will das nicht ernst nehmen. Wo war sie doch eben, warm und geborgen? Es wäre das schlimmste nicht, da wieder hinzukommen. Doch der Beifahrer rüttelt sie hart an der Schulter, er springt ab und heißt sie hinaussehen. Er beleuchtet mit seiner Taschenlampe ein kleines verschneites Bündel dicht neben ihrem Wagen. Er bückt sich und wischt an einer Stelle den Schnee mit seinen großen Handschuhen weg, da kommt ein Gesicht hervor, ein Junge. Der Beifahrer schippt das kleine Gesicht wieder zu und sagt zu Christa T.: Das wär’s
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