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Nach dir die Sintflut

Nach dir die Sintflut

Titel: Nach dir die Sintflut
Autoren: Andrew Kaufman
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gern für einfühlsam. Sie wissen ja, was die Leute denken, wenn sie Ihnen begegnen.«
    »Vielleicht.«
    »Sie sind auch nicht die Erste, die auf diese Lösung gekommen ist. Nur aus diesem Grund weiß ich, in welcher Gefahr
Sie schweben«, sagte er. Er drehte den Kopf, sah Rebecca an, zog ein Päckchen Camel ohne Filter aus der Tasche, nahm eine Zigarette heraus und zündete sie mit einem Streichholz an. Der Rauch ballte sich unter der Wagendecke zusammen, bevor er zum Fenster hinaustrieb. »Seit Jahren, seit Jahrzehnten haben Sie Ihre stärksten Gefühle gesammelt und außerhalb Ihrer selbst gelagert, in Form von Gegenständen. Und als die Gegenstände verschwanden, sind auch Ihre Gefühle verschwunden. Sie haben jetzt keine emotionale Vergangenheit mehr.«
    »Ist das so schlimm?«, fragte Rebecca. Sie sah eine Regung über Zimmers Gesicht huschen, konnte aber nicht entscheiden, ob es sich um Angst oder Ärger handelte.
    Zimmer betrachtete das glühende Ende seiner Zigarette. »Ich würde Ihnen dringend raten, Ihre emotionale Vergangenheit so bald als möglich zu rekonstruieren. Sie brauchen tiefe Gefühle. Nicht bloß alltägliche - Ärger über eine Strafe fürs Falschparken, nicht nur solche Sachen. Sondern echte, tiefe Gefühle.«
    »Dann haben Sie es schon einmal erlebt?«
    »Und ob.«
    »Und was ist mit diesen Leuten passiert? Letztendlich?«
    »Jeder Fall ist anders.«
    »Edward …«
    »Sie müssen fest daran glauben, dass jeder Fall anders ist.«
    »Okay«, sagte Rebecca. Sie sah Zimmer an, der das reglose Tachometer studierte. »Wie stehen meine Chancen?«
    »Sie schaffen das. Ich weiß, Sie werden es schaffen.«
    »Okay«, sagte Rebecca und stieß die Beifahrertür auf. Sie stieg aus dem Auto, drehte sich aber noch einmal um, um einen Blick durch die Seitenscheibe zu werfen. Zimmer versuchte kurz ein Lächeln, bevor er den Motor anließ. Als er losfuhr, begriff Rebecca, dass er geweint hatte. Sie starrte auf ihre Füße auf dem Gehweg und wusste, der Anblick von Zimmers Tränen
könnte sie traurig machen, vielleicht sogar besorgt. Sie wusste auch, dass es ihr freistand, Kummer und Trauer wegen Lisa zu fühlen, oder weil sie Stewart verloren hatte, sie könnte sogar um ihrer selbst willen fühlen. Aber es musste nicht sein. Nun hatte sie die Wahl, und als sie die Haustür aufschloss, entschied sie sich dagegen.

Einundvierzig
    Das Märchen von den Gezeiten
    Kurz vor drei Uhr morgens lenkte Aby den weißen Honda Civic auf den Parkplatz der einzigen Tankstelle von Upsala, Ontario. Das Prairie Embassy Hotel war noch sechshundert Kilometer entfernt. Der Sturm hatte sich verschlimmert, was das Fahren erschwerte. Auf dem Parkplatz standen keine Autos, und im Tankstellenhäuschen brannte kein Licht. Aby schaltete den Motor aus, ließ ihren Sitz zurückgleiten und löste den Sicherheitsgurt. Sie drehte sich von ihrer Mutter weg, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und schloss die Augen.
    »Der Tank ist doch nicht etwa schon wieder leer?«, fragte Margaret. Sie sprach zum ersten Mal, seit Aby es nicht geschafft hatte, sie zur Rückkehr ins Meer zu bewegen.
    »Nein«, sagte Aby, ohne sich zu bewegen. »Aber bald. Die Tankstelle öffnet um sechs.«
    »Sicher?«
    »Schlaf einfach«, sagte Aby, ohne es selbst zu können. Sie hörte den Regen aufs Dach klopfen. Sie starrte hinaus und entdeckte am anderen Parkplatzende eine Tierfamilie, die eine überquellende Mülltonne plünderte. Solche Tiere hatte Aby noch nie gesehen. Sie hatten geringelte Schwänze und waren sehr auf ihre Tätigkeit konzentriert. Gelegentlich warfen sie Aby einen Blick aus schwarz geränderten Augen zu. Es wirkte fast wie ein Gruß.
    Margaret hustete, und Aby lauschte auf Anzeichen von Rost.
Es war schwierig zu beurteilen, weil der Regen so laut trommelte. Aby drehte sich zu ihrer Mutter um. Ein Halstuch verbarg Margarets Kiemen. Sie hielt sich ein weißes Papiertaschentuch vor den Mund, das sie rasch zusammenknüllte und im Ärmel verschwinden ließ. Aby suchte weiter nach Anzeichen und war überrascht, als ihre Mutter das Wort ergriff.
    »Aby, ich schulde dir sehr wohl eine Erklärung für meinen Weggang«, sagte Margaret in sanftem Ton. »Warum ich nicht gewartet habe, bis du ein bisschen älter bist. Ich weiß, ich hätte warten sollen, aber es ging nicht. Leider kann ich dir nicht die ganze Geschichte erzählen, aber eins kann ich dir sagen. Ich kann dir sagen, dass es einmal eine Frau gab, die ihre zwei Brüder sehr liebte. Sie liebte
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