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Nach dir die Sintflut

Nach dir die Sintflut

Titel: Nach dir die Sintflut
Autoren: Andrew Kaufman
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beide mit der gleichen Inbrunst. Sie verbrachte den Tag mit einem Bruder, und nachts, wenn er schlief, ging sie mit dem anderen durch den Ozean spazieren. Und kurz vor Sonnenaufgang ging sie zum ersten Bruder zurück.
    So ging es für eine ganze Weile. Bis der erste Bruder es eines Tages nicht mehr ertragen konnte, nicht zu wissen, wohin sie abends ging. Am selben Tag konnte es der zweite Bruder nicht mehr ertragen, nicht zu wissen, woher sie abends kam. Der erste Bruder ging hinaus, um sie zu finden, und der zweite folgte ihr, und mitten im Ozean trafen sie aufeinander.
    Als sie einander erkannten, wurden die beiden Brüder von Eifersucht verzehrt. Ein jeder ergriff eine Hand der Schwester und begann zu ziehen. Die Frau wurde im wahrsten Sinne des Wortes von der Eifersucht ihrer Brüder zerrissen. Drei Tage ging es so, bis der Mond herabschaute und die Frau entdeckte. Der Mond erbarmte sich ihrer und verwandelte sie in eine Muschel. Die Muschel rutschte aus den Händen der Brüder und versank.
    Da waren beide Brüder von Kummer überwältigt. Zum ersten
Mal waren sie wahrlich Brüder, und sie teilten ihren Schmerz. Mit gesenktem Kopf kehrten sie zu ihrer jeweiligen Seite des Ozeans zurück. Und nun ist der eine Bruder des Nachts damit beschäftigt, seine Seite des Ozeans anzuheben und nach der Muschel zu suchen, während der andere schläft. Und wenn die Sonne aufgeht, macht sich der andere Bruder daran, seine Seite des Ozeans anzuheben, um nach der Muschel zu suchen, während der erste schläft. So entstanden die Gezeiten.«
    Aby streckte die Hand aus, und ihre Mutter griff danach.
    »Du siehst also, wie wichtig die Gezeiten sind. Gut, dass wir sie haben«, sagte Margaret. Beide Frauen senkten den Kopf und ließen sich das strähnige Haar vors Gesicht fallen, so dass keine die andere weinen sehen konnte. Sie saßen schweigend da, bis Margaret hörbar durch die Kiemen ausatmete und Aby sich zurücksinken ließ.
    » Vatn auk tími ?«, fragte Margaret.
    » Vatn auk tími «, bestätigte Aby.
    Margaret spürte, wie eine große Last von ihr fiel, viel größer, als sie gedacht hatte. Ihr Bjarturvatn war nun abgeschlossen. Nun musste nur noch eins passieren, vielleicht das Wichtigste überhaupt. Sie strich sich das Haar aus dem Gesicht und wandte sich ihrer Tochter zu, um etwas zu sagen. Aber Aby war schneller.
    »War es Herr Honsjtosan?«
    »Oh, Aby. Warum musst du alles kaputt machen?«
    »Herr Dfjal?«
    »Ganz bestimmt nicht.«
    »Dr. Bdlks?«
    »Nein.«
    »Dieser Typ, du weißt schon, Pabbis Freund mit dem Loft?«
    »Das reicht, Aby. Es reicht.«
    Aby nickte, ohne die Hand ihrer Mutter loszulassen.

Zweiundvierzig
    Das wirklich Allerletzte
    Stewart saß in der Kajüte, hielt einen Bleistift in der Hand und starrte auf die Seiten eines Spiralblocks. Er musste nur noch eines tun, um das Boot zu vollenden - ihm einen Namen geben. Die Aufgabe gestaltete sich jedoch schwieriger als der Bau des Schiffsrumpfes und sogar schwieriger als die Installation des Masts. Seit fast drei Jahren notierte Stewart sich mögliche Namen auf diesen Spiralblock. Beim Hinschreiben war er sich jedes Mal sicher gewesen, den perfekten Namen gefunden zu haben. Aber gewisse Zeit später - manchmal Sekunden, manchmal Wochen - strich er den Namen durch.
    Stewart suchte nach einem stolzen, starken Namen, der aber nicht arrogant oder einschüchternd wirken durfte. Der Name sollte Interesse vermitteln, Mitgefühl und Einfühlungsvermögen, und dennoch selbstbewusst und entschlossen klingen. Er müsste aus einem einzigen Wort bestehen, oder aus einem Begriff, der allen so geläufig war, dass er wie ein einziges Wort wahrgenommen wurde. Aber selbst jetzt, wo ihm nichts mehr zu tun blieb, als einen Namen zu wählen, fiel ihm keiner ein.
    Treues Herz, schrieb er, nur um es sofort auszustreichen.

    Lisa
    Noch bevor er den Stift angesetzt hatte, wusste Stewart, das war der richtige Name. Er eilte an Deck. Es goss wie aus Kübeln,
aber Stewart konnte nicht warten. Zum ersten Mal seit Jahren hatte er das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun; er durfte keine Zeit vergeuden. Rasch befestigte er eine Plastikfolie über dem Heck und wischte das Holz trocken. Mit schwarzer Farbe und in einer fließenden, verschnörkelten Schrift malte er vorsichtig das Wort Lisa . Diese einfache Aufgabe erfüllte ihn mit tiefer Zufriedenheit. Als er einen Schritt zurücktrat, um sein Werk zu begutachten, trat der Red River über die Ufer und umspülte Stewarts
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