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Nach dir die Sintflut

Nach dir die Sintflut

Titel: Nach dir die Sintflut
Autoren: Andrew Kaufman
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Füße.

Dreiundvierzig
    Etwas zu tun
    Um acht Uhr morgens wurde Rebecca von ihrem klingelnden Handy geweckt. Sie hatte gut geschlafen, tief und traumlos. Das Handyklingeln gefiel ihr, denn es gab ihr etwas zu tun. Selbst beim Einschlafen hatte Rebecca einen gewissen Widerwillen verspürt bei der Aussicht, am nächsten Morgen aufzuwachen und entscheiden zu müssen, was sie mit dem Tag anfangen würde. Aber diese Frage war nun geklärt: Sie würde ans Handy gehen.
    Rebecca setzte sich auf und war augenblicklich enttäuscht, weil das Handy auf dem Nachttisch lag. Es wäre viel besser gewesen, hätte sie es suchen müssen. Dann hätte sie schon zwei Aufgaben gehabt. Sie klappte das Handy auf, ohne sich die Nummer auf dem Display anzusehen.
    »Rebecca Reynolds«, sagte sie.
    »Rebecca?«
    »Wer ist da?«
    »Stewart.«
    »Stewart Findley?«
    »Wie viele Stewarts kennst du?«
    »Drei.«
    »Spiel hier nicht die Klugscheißerin.«
    »Tue ich gar nicht.«
    »Du klingst wirklich seltsam.«
    »Ehrlich gesagt geht es mir richtig gut.«

    »Ist alles in Ordnung mit dir?«
    »Ich glaube, ich bin jetzt, äh, emotional unverwundbar.«
    »Du machst mir Angst.«
    »Nein, ich meine es ernst!«
    »Hör mal, tu mir das jetzt bitte nicht an. Ich sitze mitten in dem schlimmsten Sturm fest, den ich je erlebt habe. Es ist unglaublich! Ich bin auf meinem Boot. Und es ist so merkwürdig - kaum bin ich fertig, da geht es los. Die Überschwemmung. Das Erdgeschoss des Hotels steht schon unter Wasser.«
    »Hier regnet es auch.«
    »Bist du sicher, dass alles in Ordnung ist?«
    »Ich glaube, es lässt mich ein wenig distanziert wirken.«
    »Was?«
    »Meine emotionale Unverwundbarkeit.«
    »Was ist mit dir los?«
    »Man hat mir gesagt, es sei nicht gut, aber es fühlt sich echt gut an. Obwohl es mir plötzlich sehr schwerfällt, Entscheidungen zu treffen.«
    »Okay. Das ist schon mal vorgekommen, weißt du noch?«
    »Ich weiß, was du meinst, aber so ist es ganz und gar nicht. Diesmal ist es anders.«
    »Trotzdem. Vielleicht solltest du einfach mal raus? Du weißt schon, raus aus dem Haus. Um einen klaren Kopf zu bekommen.«
    »Gute Idee.«
    »Warte, warte, warte«, sagte Stewart. »Ich habe angerufen, um dir zu sagen, dass ich das Boot endlich getauft habe. Das Boot ist fertig. Es heißt Lisa .«
    »Okay.«
    »Zum Gedenken an deine Schwester.«
    »Das ist wirklich nett«, sagte Rebecca. Sie sagte das nur, weil es von ihr erwartet wurde. Die Information hatte keine bedeutenden
Gefühle in ihr ausgelöst. Sie klappte das Handy zu, zog die Klamotten an, die sie gestern und vorgestern getragen hatte, und verließ das Haus. Sie zog weder einen Regenmantel an noch nahm sie einen Schirm mit, und die Haustür ließ sie offen stehen.

Vierundvierzig
    Später Check-out
    Um kurz nach 16 Uhr betrat Kenneth Zimmer Nummer 201 des Prairie Embassy Hotels, ohne vorher anzuklopfen. Sein Sohn war überrascht. Der Regen klatschte im rechten Winkel gegen das nach Osten gehende Fenster, und jeder Tropfen schlug so eifrig an die Scheibe, als warteten noch drei andere ungeduldig hinter ihm. Die Deckenleuchte brannte, trotzdem wirkte das Zimmer dunkel, was die häufigen Blitze draußen noch spektakulärer aussehen ließ. Kenneth blieb auf der Schwelle stehen. Einen so mächtigen Sturm hatte er in seinem ganzen Leben noch nicht gesehen.
    »Bist du dir sicher, dass du es nicht irgendwie beenden kannst?«, fragte er seinen Sohn. Der Regen toste, und Kenneth musste brüllen, um sich verständlich zu machen.
    »Nein.«
    »Dann sollten wir einpacken!«
    »Einverstanden.«
    Zehn Minuten später standen sie, den Koffer in der Hand, in der Lobby, wo ihnen das Wasser bis knapp unters Knie reichte.
    »Sollen wir bezahlen?«, fragte Anderson.
    Kenneth stampfte mit dem Fuß auf, woraufhin das Wasser platschte. Er schaute aus dem Fenster und sah, dass weit vom Ufer entfernte Bäume plötzlich mitten im Fluss standen.
    »Nicht nötig«, sagte er. »Das hier war die längste Zeit ein Hotel.«

    Sie öffneten die Tür des Prairie Embassy Hotels und gingen hinaus. Die Regentropfen taten ihnen im Gesicht weh. Sie ließen die Eingangstür offen stehen und wateten zu den Autos. Sie hielten kurz inne, um in den Himmel zu blicken. Die Gewitterwolke hing direkt über dem Hotel und ließ Wassermassen ab. Sie konnten sehen, dass alle bis zum Horizont sichtbaren Wolken in ihre Richtung gezogen wurden. Selbst während der kurzen Zeit, die sie dort standen, nass bis auf die Knochen, schien die Wolke
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