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Fluegel der Dunkelheit

Fluegel der Dunkelheit

Titel: Fluegel der Dunkelheit
Autoren: Angela Planert
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Träume

    D er reißende
Schmerz am linken Schulterblatt brachte Liana an ihre Grenzen. Jede
Erschütterung verschlimmerte die Beschwerden. Sie bemerkte das Blut
den Rücken herunterrinnen. Die Bäume und Büsche schienen an ihr
vorbei zu fliegen, dabei war sie es, die in rasender Geschwindigkeit
durch den Wald jagte. Sie warf einen Blick über ihre Schulter. Diese
dämonischen Gestalten kamen unaufhörlich näher. Verdammt! Sie
hatte doch Niemandem etwas getan. Sie rannte immer weiter, so schnell
sie nur konnte. Ihr Puls pochte gegen die Schläfen und bei jedem
Atemzug spürte sie ein heftiges Ziehen. Ungewohnt laut nahm sie das
Knacken der Äste unter ihren panischen Schritten wahr, vor allem
aber schien ihr der nächtliche Wald wie sanft beleuchtet, als würde
sie durch eine Infrarotkamera sehen. Ein Schuss krachte. Ein
gewaltiger Schmerz durchzog ihren rechten Oberarm. Sie musste
entkommen! Ihr Leben hing davon ab. Ihre Knie fühlten sich plötzlich
weich an, ihr Magen schien sich umstülpen zu wollen. Liana begann zu
taumeln, versuchte dagegen anzukämpfen, dann fiel sie in die Tiefe.

    »Frau Majewski?
Alles in Ordnung?« Mit der hellen Stimme der Nachtschwester fiel ein
schmaler Lichtschein durch die Tür zum Ruheraum und riss Liana aus
ihrem Alptraum. Wirklich merkwürdige Träume erschwerten Liana in
letzter Zeit den dringend benötigten Schlaf.
    »Dr. Feller
erwartet sie umgehend im OP.« Die Schwester wartete, bis Liana sich
aufrichtete.
    »Bin unterwegs.«
Liana rieb sich das Gesicht. Jetzt musste sie schnell wach werden,
damit sie konzentriert arbeiten konnte. Sekunden später lief sie den
hellbeleuchteten Gang entlang auf die Umkleidekabine zum OP zu. Zum
Glück war die Nacht bisher ruhig verlaufen.

    Mit desinfizierten
Händen betrat Liana in grüner Kleidung den weiß gefliesten
OP-Saal. Dr. Feller stand bereits vor den CT-Bildern und zupfte
seinen Mundschutz zurecht. Liana ging an der Narkoseärztin vorbei.
Diese bereitete gerade mit den OP-Schwestern die Patientin, ein
junges Mädchen, für die Operation vor.
    »Hannah Sperling,
vierzehn Jahre alt, Hirnblutung nach Verkehrsunfall.« Er deutete
auf den dunklen Bereich der Aufnahmen. »Der Zustand der Patientin
ist kritisch, aber noch stabil.« Dr. Feller, ein erfahrener
Chirurg, begann das Team über den bisherigen Verlauf aufzuklären.
Der Nachtwache war zu Dienstbeginn die unterschiedlichen Reaktionen
der Pupillen aufgefallen. Kurz darauf bekam das Mädchen einen
Krampfanfall, der ein neues CT erforderte.
    »Wann ist der
Unfall passiert?« Liana verglich die verschiedenen CT-Bilder. Die
ersten waren vor gut drei Stunden entstanden, die neusten vor einer
Viertelstunde.
    »Gestern Abend.
Schürfwunden, Milzriss und multiple Frakturen an den Extremitäten.
Das CT des Schädels zeigte eine minimale Blutung, die keinen Anlass
für eine Operation gab.« Er wies auf die ersten CT-Bilder. »Ich
denke, Sie erkennen das Problem.« Dr. Feller wandte sich der
Narkoseschwester zu. »Können wir?«
    »Alles bereit, Dr.
Feller.« Sie zwinkerte ihm zu. Gerüchten zufolge hatten die beiden
ein Verhältnis miteinander, aber das interessierte Liana jetzt
nicht.
    »Wie wäre es, wenn
Sie heute die Operation übernehmen, Frau Majewski? Ich assistiere.«
    Liana schoss das
Blut ins Gesicht und ihr Herzschlag verdoppelte sich. Erst vorige
Woche hatte sie eine Hirnblutung bei einer älteren Frau gestoppt,
allerdings unter Anleitung des Chefarztes. Die Verantwortung für ein
Leben allein zu tragen, fühlte sich im Moment sehr erdrückend an.
Ihre Hände zitterten. Dr. Feller, das wusste Liana von Kollegen,
überließ keinem Assistenten einen Eingriff, wenn er nicht von
dessen Fähigkeiten überzeugt war. Dies war ihre Chance, zu zeigen,
was in ihr steckte, dass sie in der Lage war, das Dazugelernte
anzuwenden. Je mehr sie sich konzentrierte, auf ihre Erfahrungen der
letzten Monate vertraute, desto sicherer und ruhiger wurde ihre Hand.
Während der Operation blieb die Herzfrequenz gleichmäßig und damit
auch der Zustand der Patientin stabil.

    Nach fünf Stunden
streifte sich Liana im OP die Latexhandschuhe ab.
    Dr. Feller legte ihr
anerkennend seine Hand auf die Schulter. »Ausgezeichnete Arbeit,
Frau Kollegin. Ich denke, wir haben uns einen Kaffee verdient.«
    Liana lächelte
stolz. Dr. Feller war eine Koryphäe der Hirnchirurgie. Sein Lob kam
einem Ritterschlag gleich, aber es würde auch Neider auf den Plan
rufen. Das Tuscheln hier, die feindseligen Blicke der Kollegen
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