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Julias kleine Sargmusik

Julias kleine Sargmusik

Titel: Julias kleine Sargmusik
Autoren: Jason Dark
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Konstabler Herbie Reynolds löste Kreuzworträtsel, während sein Kollege Glenn Rotter die Beine auf die Schreibtischplatte gelegt hatte und schnarchte. Auf seinen Oberschenkeln lag ein Krimi. Auch der hatte ihn nicht mehr wach halten können. Bis kurz vor Mitternacht hatte er die Augen noch offen gehabt, jetzt aber, ungefähr zwanzig Minuten später, schlief er den Schlaf des Gerechten.
    Ihn störte es nicht, seinen Kollegen nur, wenn er mit seiner Rätselei nicht weiterkam und keinen fragen konnte. Glenn deswegen aufzuwecken, das wollte er auch nicht.
    Es war wirklich eine kleine, gemütliche Polizeistation, die von den beiden Polizisten besetzt war. Hier passierte so gut wie nichts. Die Menschen waren freundlich, man nannte die Polizisten nicht Bullen und grüßte sie auf der Straße.
    Reynolds schielte auf sein Heft. Die Hälfte des Rätsels hatte er gelöst. Der zweite Teil würde ihm Schwierigkeiten bereiten, denn er hatte zuerst die Felder ausgefüllt, die ihm leichter erschienen. Um weiterzumachen, benötigte er zuvor eine Stärkung. Die befand sich in der Thermoskanne. Seine Frau füllte sie jeden Abend vor Dienstbeginn mit Tee. Dass sie ein wenig Rum mit hineingoss, war bisher Reynolds' kleines Geheimnis geblieben. Zum Glück trank sein um zwei Jahre jüngerer Kollege nur Kaffee.
    Lächelnd schenkte Reynolds den Becher voll. Seine Augen strahlten schon in Vorfreude, doch er sollte nicht mehr dazu kommen, den Tee zu trinken, denn urplötzlich wurde die Tür aufgestoßen. So heftig, dass Reynolds erschrak, der Tee überschwappte und in einer Lache auf dem Schreibtisch liegen blieb.
    Sogar Glenn Rotter wurde wach. Verwirrt fuhr er hoch, stieß sich noch das Knie an der Schreibtischkante und drehte sich um. Im Raum stand sie.
    Sie - das war Mrs. Featherhead und gleichzeitig das größte Klatschmaul aus der Umgebung. Wenn diese etwa 60jährige Dame mal jemand aufs Korn genommen hatte, konnte derjenige einpacken. Dann war er bei seinen Nachbarn unten durch, denn Mrs. Featherhead, die Beamtenwitwe, die von der Pension ihres Mannes recht gut leben konnte, hatte den lieben langen Tag nichts anderes zu tun, als über die Nachbarn und deren Schwächen herzuziehen. Ausgerechnet sie hatte die beiden Polizisten überrascht.
    Und das kurz nach Mitternacht.
    Ihren Spazierstock trug sie stets bei sich, Mit dem gummibesetzten Ende hämmerte sie auf den Boden und schaute zu, wie sich die beiden Beamten rasch gerade hinsetzten und ihre Uniformen glatt strichen.
    »Hier hat doch niemand geschlafen?« fragte sie.
    »Nein«, beeilte sich Reynolds zu versichern. »Wir dachten nur über ein Problem nach.«
    »Außerdem riecht es nach Rum«, stellte Mrs. Featherhead fest.
    »Haben Sie getrunken?« fragte Glenn Rotter scheinheilig und lächelte die Frau entwaffnend an.
    »Reden Sie kein Blech, junger Mann, und kommen Sie mit.«
    »Wohin, bitte sehr?«
    »Zum Friedhof!«
    Beide Polizisten waren sprachlos. Rotter fuhr durch sein braunes Haar und verzog das Gesicht. »Was soll ich denn da?«
    »Zuhören!«
    »Nachts singen keine Vögel.«
    »Wenn Sie mich auf den Arm nehmen wollen, junger Mann, müssen Sie früher aufstehen. Ich habe nicht von…« Sie verschluckte das nächste Wort, da ihr einfiel, dass man es auch falsch verstehen konnte. Statt dessen sagte sie: »Auf dem Friedhof spielt jemand Geige.«
    »Warum nicht Trompete?« fragte Reynolds und erntete einen fast tödlichen Blick.
    »Also Geige«, sagte Rotter.
    »Ja.«
    »Haben Sie den Spieler gesehen?«
    »Nein«, erwiderte die Frau. »Ich empfinde es nur als eine Unverschämtheit, dass sich da einer erlaubt, nach Mitternacht noch Geige zu spielen. Das ist Ruhestörung.« Sie drohte mit dem Stock.
    »Denn auch die Toten brauchen Ruhe.«
    »Amen«, murmelte Rotter. »Sagten Sie etwas, junger Mann?«
    »Nein, nein, nicht.«
    »Das wollte ich Ihnen auch geraten haben.« Ein prüfender Blick traf Glenn Rotter. »Kommen Sie jetzt mit oder nicht?«
    »Geh schon, Glenn«, sagte Reynolds.
    Der Angesprochene griff bereits zur Mütze und setzte sie auf. »Wollen Sie mich begleiten, Mrs. Featherhead?«
    »Selbstverständlich. Ich möchte doch sehen, ob die jungen Polizisten heutzutage noch in der Lage sind, mit einem Problem fertig zu werden.«
    »Mit Geigespielern bestimmt«, erwiderte Glenn, hielt der Frau die Tür auf und kniff seinem Kollegen gleichzeitig ein Auge zu. Reynolds hob nur die Schultern und grinste.
    Das ungleiche Paar betrat die Straße. Es war eine wolkenverhangene
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