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Muckefuck

Muckefuck

Titel: Muckefuck
Autoren: Georg Lentz
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Mätressen rollten über Sand und Wurzeln, aber auch ein berühmter Philosoph, der seine Werke (etwa ab 1715) unter dem Pseudonym Voltaire veröffentlichte: Beim Pasewalk’schen Gasthof bezeichneten märkische Landmänner den ausländischen Perückenträger als Affen. Auf Plattdeutsch übrigens, sie sagten »Aap«.
    Jetzt links von der Bahn – immer stadtauswärts gesehen – die auch schnurgerade verlaufende, kopfsteingepflasterte Bärlappstraße, mit schönem alten Lindenbestand, gesäumt von mietgünstigen Beamtenwohnblocks und Siedlungshäusern. Die Bärlappstraße endete bei der Kolonie Tausendschön in einem Schotterweg, und hier hinten entstanden immer wieder die mir so willkommenen Gewitterlachen.
    Hinten lief die Straße ins Nichts, soweit man ein dörrgrasbestandenes Feld als Nichts bezeichnen kann. Für die Tausendschönchen, für mich also auch, war es Niemandsland, einen halben Kilometer breit von der Bahnlinie gemessen. Am anderen Ende des Felds galt der Platz einer Zimmerei als ergiebiger Fundort für Zigarettenbildchen in Buntdruck, Unsere Kolonien oder Das Deutsche Heer im Manöver.
    Hinter den geduckten schwarzen Teerpappdächern der Lauben lag dieses Nichts, dieses Paradies, dieses Schlachtfeld. Das Feld. Aber wir kehren zurück, mitten in den Klumpen notdürftiger Behausungen. Laube Nummer vierzehn! Sie war die Wohnung Johann Busebergs, des kaiserlichen Ex-Matrosen, Vater von Harald. Einhändig half er sich durchs Leben seit Skagerak.
    Ein Stern mit Klammer wäre eigentlich nötig, auf eine kleingedruckte Fußnote unten verweisend, denn schon verblasst die Erinnerung an bedeutende Seeschlachten des Ersten Weltkrieges, vierzehn-achtzehn. Damals war Kommandant Graf Dohna-Schlodien mit dem Hilfskreuzer Möwe ausgelaufen. Stolz wehte die Flagge schwarz-weißrot vom Mast, und der bisher kasinoisolierte Commander wundert sich in seinen Memoiren, dass seine Blaujacken sich beim Einnehmen gemeinsamer Mahlzeiten von Menschenaffen unterscheiden.
    Damals befahl Admiral Tirpitz den uneingeschränkten U-Boot-Krieg. Und damals kämpften unsere Marineartilleristen im Skagerak gegen Albions Hochseeflotte, und kernig klang das Lied von der stolzen Kaiserjacht Meteor.
    Am 31. Mai 1916, kurz vor dreizehn Uhr, wurde hier im Skagerak dem Marineartilleristen Johann Buseberg die rechte Hand durch einen englischen Granatsplitter abgerissen. Deutschland siegte mit einem Versenkungsplus von 56000 Tonnen Wasserverdrängung, wie sich nach demVergleichen der Totalverluste ergab. Niemand konnte Artillerist Johann Buseberg die verlorene Hand ersetzen. Aber alles ist eine Frage der Perspektive. Und hier, auf das Kind Karl Kaiser angewendet, ergibt sie: Skagerak war nötig, wegen Vater Busebergs Schnürmanschette, aus Pfundleder, das man mit Weißbeize schwellt und mit Knoppern gerbt. Ein festes Leder, mittelbraun, steif, geeignet, eine Holzhand am natürlichen Armstumpf zu halten.
    Und immer noch war es nicht Sonntag. Zwei Tage noch. Und zwei Nächte, in denen dick geschwollene Hände, im grünen Meer schwimmend und Gallerte absondernd, oder wogende Schatten von Pflanzenblättern durch Karls Träume gaukelten. Der späte Nachmittag, wenn die roten und blauen A-s und E-s schon im Ranzen ruhten, brachte mich Laube vierzehn näher. Ich umrundete, eng an die Zäune aus verzinktem Maschendraht oder Holzlatten gedrückt, das engere Areal in der Kolonie, zu dem Laube vierzehn gehörte. Ich spähte hinüber, ob nicht der Mann mit der hölzernen Hand, der große Buseberg, vor eine der Türen trete. Vielleicht würde er mir winken, obwohl es noch nicht Sonntag war.
    Aber ich begegnete Buseberg nicht. Auch nicht am Freitag, und nicht am Samstag.
    Doch endlich: Ein Sonntagmorgen im April, zwischen Frost und krokusträchtigen Ostern. Der Tag ist besonders, auch ohne geheime Vorhaben. Die länger im Bett verbrachte Stunde schärft alle Sinne. Das Laubenkind hört durchs offene Fenster die Hühner, wie sie gackern, zu verkünden, dass sie ein Ei gelegt haben. Die erste Fliege des Jahres summt so laut, dass man sich die Ohren zuhalten möchte. Und aus den Augenwinkeln sehe ich die schwarze Katze mit nur drei Beinen, wie sie übers Garagendach auf ein paar Spatzen anschleicht, und ich höre ihre drei Pfotenüber die froststeife Pappe trappen. Die Spatzen hören es auch und fliegen davon. Hinten in der Küche aber klappt die Speisekammertür. Die Mutter macht Frühstück. Gleich wird es klingeln. Gas- und Elektroherde gibt es noch wenige in der
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