Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Muckefuck

Muckefuck

Titel: Muckefuck
Autoren: Georg Lentz
Vom Netzwerk:
starrte ihn an. Der Waschende beendete sein Flutspiel. Die Seife biss, auch Vater Buseberg, sah ich, kniff seine Augen zu, wodurch er einen Augenblick lang seinem Sohn Harald ähnlich wurde. Geschickt ergriff Johann Busebergs einzige Hand ein Frottiertuch, das über der Lehne eines Küchenstuhls in der Nähe hing. Er rieb Gesicht, Oberkörper und Armstumpf. Ich stellte fest, dass die Wunde säuberlich vernäht war. Nur im Zentrum des Armquerschnitts, dort, wo der Knochen sein musste, zeigte sich eine deutliche Rötung.
    Der Vater, sich frottierend, grinste.
    Harald zwinkerte.
    Frau Buseberg rasselte mit dem Schüreisen.
    »Du willst«, sagte Buseberg, mich durchdringend musternd, »die Hand schnüren?«
    Ich wechselte Stand- und Spielbein, sagte fest: »Ich will die Hand schnüren. Schnüren, ja.«
    »Frau, das Hemd«, forderte Buseberg.
    Die Frau ließ den Herd, brachte das Sonntagsoberhemd, hellblau mit schmalen dunklen Streifen. Buseberg fuhr hinein. Sein wolliger Schädel stieß durch den Hemdschlauch, tauchte in der Kragenöffnung auf, die heile Hand suchte und fand sofort den einen Ärmel, und dann, rechts, glitt auch der Armstumpf ins obere Ärmelteil, stieß ein paarmal nach oben und rechts seitwärts, wie um zu erreichen, dass ein paar Zentimeter Stoff mehr in Anspruch genommen werden möchten:
    Vergebens, denn ein Drittel Textilrohr baumelte ungenutzt hin und her, die gestärkte Manschette unten dran. Nun aber befahl Buseberg, aufzukrempeln. Ich kam Harald und Mutter Buseberg zuvor und rollte den leeren Ärmel zurück, bis vom Stumpf ein gutes Stück sichtbar wurde, übrigens mit einem tintenblau eintätowierten Anker ganz in Nähe des Abrisses, um den rings herum die Inschrift sich ringelte: »Navigare necesse est!« Latein, davon hatte ich erst recht keine Ahnung, aber, meinem neugierigen Blick nachgebend, der ohnehin nur Wortteile entzifferte, entschloss Buseberg – jetzt immer Vater – sich, zu erklären: »Das heißt Seefahrt tut not.«
    Vom Herd her, wohin sie zurückgekehrt war, macht Mutter Buseberg: »Phh …!«
    Genügend hochgerollt? Nun her mit Busebergs Kunsthand! Der Mann, Hemdschöße noch über der Hose, wendete sich zum Fensterbrett. Dort lagen zwei Holzhände mit Lederbefestigung, lagen zwei Prothesen!
    Es stellte sich heraus, dass die Prothese mit dunklem Glacéhandschuh über der wie natürlich geformten Holzhand alltäglichem Gebrauch diente. Sonntags aber benutzte Buseberg eine Extrahand, mit hellfarbenem Glacéhandschuh!
    Damit war nicht zu rechnen gewesen, für fünf Kupferpfennige! Ich folgte Gesten des Amputierten, nahm die helle Hand vom Fensterbrett. Und ließ mir erklären: Hier handelte es sich um einen ausgeklügelten Mechanismus. Indem nun Buseberg den Glacéhandschuh abstreifte, mit einer äußerst gekonnten Bewegung seiner linken Hand übrigens, während ich – weniger geschickt – die Prothese hielt, enthüllte sich ein kompliziertes Werk aus Holz- und Metallteilen. Spiralen, blau schimmernde Blattfedern und überlappende eloxierte Aluminiumplatten hielten die einzelnen Fingerglieder zusammen und sorgten für deren Beweglichkeit. Auch führten Darmsaiten von den Fingerspitzen zur Handwurzel, von wo sie gebündelt in die Manschette weiterliefen. Buseberg demonstrierte: »Ich beuge das Ellbogengelenk.« Er beugte, was in diesem Fall, da die Hand ja nicht angelegt war, frei gedacht werden musste. »Pass auf«, befahl Buseberg, »was geschieht.«
    Frau Buseberg murmelte: »Oh, Mann …« Aber niemand achtete auf sie, denn auch Harald beäugte die Hand, an der sich nun, bei Beugung, die Finger schlossen. Jetzt Streckung: Die Finger öffneten sich wieder. Ein paarmal hin und her. Zum Schluss, Buseberg bewältigte auch dies, ließ er durch Druck auf ein verborgenes Knöpfchen an der Handwurzel den Daumen – der Kunsthand! – hin und her schnellen, wobei jedes Mal ein feines, scharfes Knacken hörbar wurde.
    »Ganz anders jedoch ist es« – Buseberg legte, nachdem er mit meiner Hilfe sorgfältig den Handschuh wieder über das Wunderwerk gestreift hatte, die Sonntagshand beiseite und ergriff die dunkle Alltagshand, – »Ganz anders ist es mit diesem Modell bestellt.« Und indem Buseberg mir nun die andere Prothese zum Halten gab, meinte er, ich sähe ja, dass hier die Hand aus einem Stück gefertigt sei, nicht wörtlich zu nehmen zwar, denn die Finger seien mit Zargen oder Dornen eingepasst wie Stuhl- oder Tischbeine, und Hand sowie Finger bestünden aus mehreren Lagen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher