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Morgaine 1 - Das Tor von Ivrel

Morgaine 1 - Das Tor von Ivrel

Titel: Morgaine 1 - Das Tor von Ivrel
Autoren: C.J. Cherryh
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Aenor-Pywn lag sehr weit südlich von Hjemur und war unberührt von den Sorgen, die den Mittelländern seit langem zu schaffen machten.
    Mit fiebriger Bewegung nahm er den Bogen von der Schulter und spannte ihn, die Hände vor Schwäche zitternd, und verschoß einen der graugefiederten Nhi-Pfeile auf den ihm am nächsten stehenden Rehbock. Aber sein Pferd stampfte im gleichen Augenblick auf, und er fluchte enttäuscht und mit hungrig schmerzendem Magen: der Pfeil verfehlte sein Ziel, traf den Bock in die Flanke, ließ die anderen Tiere auseinanderstieben.
    Das verwundete Tier stürmte los und stolperte und begann zu laufen, außer sich vor Schmerzen, den weißen Schnee mit großen Bluttropfen bespritzend. Vanye blieb keine Zeit für einen zweiten Pfeil. Das Tier lief zurück in Morgains Tal, wohin er ihm nicht folgen wollte. Er sah es klettern – verrückt, als habe die seltsame Atmosphäre dieses Tals seine von der Furcht vernebelten Instinkte gegen die Natur verkehrt, als wolle es sich in der eigenen Mühsal umbringen, sich in jenes schimmernde Netz stürzen, dem sogar Insekten und Pflanzen aus dem Weg gingen.
    Das Tier traf zwischen den Säulen auf und – verschwand.
    Ebenso die Spuren und das Blut.
    Das Reh graste auf der anderen Seite des Baches.
    Vanye starrte in das Tal der Steine, die eindeutig
qujalischen
Ursprungs waren. Es war Morgaines Tal: das wußte er. Der Anblick löste etwas in ihm aus, ein so starkes Gefühl des deja-vu, daß er im ersten Moment wie gelähmt war. Er fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen, rieb die Dinge wieder in die richtige Brennschärfe. Die Sonne sank schnell der Dunkelheit entgegen, während hinter seinem Rücken eine neue Wolkenbank von der Höhe der Berge herabrollte.
    Er blickte zwischen den Säulen auf der Spitze des Kegelgipfels empor, der Morgaines Grab genannt wurde, und die untergehende Sonne schimmerte dort wie eine Pfütze aus Gold, in die eben ein Stein geworfen wurde.
    In diesem Schimmer tauchte der Kopf eines Pferdes auf, dann die Vorderbeine und ein Reiter und das ganze Tier; ein weißer Reiter auf einem grauen Pferd, die ganze Szene eine Silhouette vor der bernsteinfarben schimmernden Sonne, so daß er blinzeln und sich die Augen reiben mußte.
    Der Reiter kam den schneebedeckten Hang herab in die Schatten jenseits seines Weges – eine greifbare Erscheinung. Ein Pelz aus weißem
anomen
war der Mantel, und der Atem des Fremden wie des grauen Pferdes stand weißwolkig in der frostkalten Luft.
    Eigentlich mußte er seiner Stute jetzt die Sporen geben, doch er war seltsam gelähmt, als wäre er aus einem Traum erwacht und sofort in den nächsten geraten.
    Er blickte in das gebräunte Frauengesicht unter der Pelzkapuze und fand Haar und Brauen wie die Wintersonne im Zenit, und Augen, die so grau waren wie die Wolken im Osten.
    »Guten Tag«, grüßte sie mit einem seltsamen, kaum spürbaren Akzent, und er entdeckte am Sattel des Grauen unter ihrem Knie eine große Klinge mit einem goldenen Griff in der Gestalt eines Drachen und stellte fest, daß das Zaumzeug korische Arbeit war. Da wußte er Bescheid, denn solche Details waren im Buch von Yla enthalten und in den Liedern, die über sie gesungen wurden.
    »Mein Weg führt mich nach Norden«, sagte sie leise und mit leichtem Akzent. »Euch scheint es in eine andere Richtung zu ziehen. Aber die Sonne geht bald unter. Ich reite ein Weilchen mit Euch.«
    »Ich kenne dich«, sagte er.
    Die hellen Brauen wurden gehoben. »Wollt Ihr mich angreifen?«
    »Nein«, sagte er, und ein Gefühl der Eiseskälte wanderte vom Herzen in seine Magengrube, bis er nicht mehr genau wußte, welche Worte er über die Lippen brachte oder warum er ihr überhaupt noch antwortete.
    »Wie heißt Ihr?«
    »Nhi Vanye, ep Morija.«
    »Vanye – das ist kein Morij-Name.«
    Der alte Stolz erwachte in ihm. Der Name war Korish und entstammte dem Klan seiner Mutter, eine Erinnerung an seine Illegitimität. Aber es war sowieso Wahnsinn, mit ihr zu sprechen oder sich gar mit ihr zu streiten. Was er auf der Bergkuppe gesehen hatte, wollte sich in seiner Erinnerung nicht deutlich wiederholen, und er begann sich einzureden, daß der Hunger ihn geschwächt und seine Sinne verwirrt hatte, daß er hier nur einer fremden Frau aus hohem Klan begegnete und daß seine Schwäche ihn vergessen ließ, wie sie zu ihm gekommen war.
    Doch wie auch immer – sie war zumindest zur Hälfte
qujal,
das bezeugten die Augen und die Haarfarbe; sie war
qujal
und seelenlos
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