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Mordstheater

Mordstheater

Titel: Mordstheater
Autoren: Imogen Parker
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gewesen
sein könnte?«
    »Oh, nein. Sehen Sie, Agatha haßte Medikamente
und Krankenhäuser und alles in der Richtung. Sie war während des Krieges sehr
krank, wissen Sie, und mußte viel Zeit auf einer Isolierstation zubringen. Und
es waren dreißig leere Tütchen im Abfall. Sie wäre eher gestorben, als das Zeug
aus therapeutischen Gründen zu nehmen. Ich hoffe, sie hat nicht allzusehr
gelitten. Ich meine, Sie haben sie gesehen, nicht wahr? Fanden Sie nicht, daß sie
friedlich aussah?«
    Ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Ich würde
Agathas Todesgesicht niemals vergessen. Ich hatte versucht, mir einzureden, daß
es friedlich ausgesehen hatte, aber es war nicht so. Es hatte ziemlich zornig
und entschlossen ausgesehen.
    »Wenn ich nur tapfer genug gewesen wäre, sie
anzurufen...« Dorothys Stimme fing wieder an zu schwanken.
    »Wir alle empfinden das«, sagte ich und
versuchte, sie damit zu beruhigen, wie ich unzählige Male versucht hatte, mich
selbst zu beruhigen. »Aber wenn man jemandem mit einer solchen Überdosis nicht
sehr schnell erwischt, kann man offenbar nicht mehr viel tun.«
    »Nein«, sagte Dorothy. »Vermutlich nicht.«
     
    Gegen sieben Uhr setzte ich sie in ein Taxi.
    »Sind Sie sicher, daß Sie es sich nicht anders
überlegen werden?« fragte sie.
    Ich sagte nein, es täte mir leid. Ich wußte, daß
sie niemals darauf hoffen konnte, die Agentur in Gang zu halten. Es war völlig
irrational von ihr, dies zu glauben. Anthony und Janet würden sich ihr in den
Weg stellen. Wer konnte es ihnen verübeln? Dorothy würde sich um den letzten
Rest Verstand saufen. Niemand, der >nicht sonderlich gut darin ist,
Geheimnisse für sich zu behalten<, wie sie wiederholt gesagt hatte, würde
sich in einer Welt, deren Geschäftsgrundlage vertrauliche Informationen waren,
auch nur einen Tag lang halten können. Ich wollte nicht an Deck stehen und ohne
jede Aussicht auf Hoffnung Wasser ausschöpfen, während das Schiff unaufhaltsam
sank.
    Wir versuchten beide, die Unterhaltung in
freundlichem Ton zu beschließen; Dorothy schüttelte mir die Hand und wünschte
mir alles Gute. Ich sagte ihr, sie solle Chutney von mir streicheln.
    »Ach, der arme Chutney«, sagte sie wehmütig.
»Ich fürchte, wir müssen ihn einschläfern lassen. Ich meine, er ist sehr alt,
wissen Sie, und na ja, Jack ist derart allergisch gegen Katzen...«
    Ich ging mit schwerem Herzen nach oben. Ich rief
Martin an und fragte, ob ich ihn am nächsten Tag sehen könnte. Er sagte, er
müsse sich mit einem Kunden in Sussex treffen, deshalb würde er es zum
Mittagessen nicht schaffen. Ich erzählte ihm, daß ich meinen Job verloren hatte
und daß ich ihm alles erklären würde, wenn ich ihn das nächste Mal sah.
Anscheinend hörte er das Unglück aus meiner Stimme heraus.
    »Also wenn du nicht mehr arbeitest, warum kommst
du nicht für den Tag nach Brighton herunter?« schlug er vor. Mein Treffen ist
nach dem Mittagessen vorbei. Sie erwarten mich hinterher nicht im Büro zurück.
Wir könnten einen Nachmittag am Meer verbringen.«
    Die Aussicht, aus London herauszukommen, auch
wenn es nur für wenige Stunden war, hob entschieden meine Laune. Wir
verabredeten, uns im Foyer des Grand Hotels zu treffen.

  Ich liebe englische Seebäder, besonders im Winter. Es hat einen ganz
eigenen Reiz, wie dort verfallende Pracht gewichtig unmittelbar neben der schäbigen
Staffage einer verarmten Nation steht — Zuckerwattebuden, Stände, auf denen
sich Kiss-me-quick-Melonen aus Plastik und Union Jacks stapeln, T-Shirts mit
»Meine Eltern waren in Brighton, und alles was ich gekriegt habe, war dieses
blöde T-Shirt< drauf, die auf Kleiderbügeln im eisigen Wind flattern — , das
bringt England und all die Widersprüche eines post-imperialen Landes, das nicht
mehr weiß, wo es langgeht, auf den Punkt.
    Ich fühlte mich angenehm anonym unter dem
menschlichen Treibgut, das an solchen Orten angeschwemmt wird. Hell’s Angels
röhrten die Strandpromenade hinunter; Eltern kauerten hinter dem Windschutz,
während ihre abgehärteten Kinder, unempfindlich gegen die Kälte, mit leuchtend
rosa und gelben Eimern und Schippen herumrannten und versuchten, aus dreckigen
Kieseln Schlösser zu bauen; und wenn die Nacht anbricht, flüstern Prostituierte
in den engen Straßen, wo sich die billigsten Bed-and-Breakfast-Pensionen
drängen. Es ist ironisch, daß die einzige Zeit des Jahres, in der solche Städte
aufleben, jene ist, in der politische Parteien und der große Presseanhang
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