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Mordstheater

Mordstheater

Titel: Mordstheater
Autoren: Imogen Parker
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einem Logo, das »Anthony White. Theateragent, 3. Etage« verkündete, hatte
sie ersetzt. Ich war auf dem Weg zum Gedenkgottesdienst in St.
Martin-in-the-Fields. Es war eine ziemlich fröhliche Angelegenheit, bei der
Schauspieler und Regisseure, die Agatha vertreten hatte, liebevoll ihre bevorzugten
Passagen aus Shakespeare und anderen Stücken rezitierten. Bei all ihrem
Zynismus fühlte ich, daß sie von der Anzahl der Leute berührt gewesen wäre, und
der Tatsache, daß sie aufrichtig bewegt waren von dem Gottesdienst und den
Rezitationen. Die Kirche war von dem Duft von tausend Blumen erfüllt. Ich
bemerkte, daß Dorothy — ich konnte diesen schwarzen Mantel nie vergessen — in
der vordersten Reihe stand, ohne Begleitung und ein wenig schwankend.
    Anstatt des letzten Kirchenliedes sang die
Schauspielergruppe »Sit down, you’re rocking the boat’« aus Guys and Dolls. Es hörte sich merkwürdig an mit einer Orgelbegleitung, aber ich hatte das
Gefühl, es hätte ihr genau aus diesem Grund gefallen.
    Ich schlüpfte aus meiner Bankreihe im
Hintergrund heraus, sobald die letzte Note erklang. Ich fühlte mich ein bißchen
wie eine Hochstaplerin, und ich wollte schnell dort wegkommen, aber es hatte
geschneit, während wir drinnen waren, und ich hielt eine Sekunde lang inne, als
die kalte Luft mich traf, und bestaunte den matt goldenen Ausblick auf die
glänzende Sonne, die über dem Trafalgar Square mit eisigem Regen zusammenstieß.
    Ich fühlte, wie mir jemand auf die Schulter
klopfte. Ich drehte mich frostig um, dann lächelte ich. Greg winkte mich fort,
und wir landeten in der amerikanischen Bar des Savoy, tranken anständige
Martinis und prosteten Agatha bei weitem zu lange so zu, wie sie es gutgeheißen
hätte.
     
    Jack Burton bin ich nie begegnet, obwohl ich ihn
vermutlich in wenigen Minuten von Angesicht zu Angesicht sehen werde.
    Martin, der geschäftlich in Los Angeles war, riß
einen Artikel über die >Reihe knospender Talente der Sechziger< aus einer
Zeitschrift heraus. Die Haare im Abfluß wurden mit einer Zeile als
rätselhaftes Stück erwähnt, das immer vermeide, sich der Realität zu stellen.
    Natürlich hatte ich nicht widerstehen können,
Mr. Middlemarch aufzusuchen und ihm meine Gedanken zum Abfall mitzuteilen. Er
machte sich geduldig Notizen und schüttelte mir höflich die Hand, als ich ging,
und sagte gönnerhaft, daß die Polizei immer dankbar für die Umsicht der
Allgemeinheit sei. Es muß ihm unendlich peinlich gewesen sein, mich viele
Monate später anrufen zu müssen.
    Ich war gerade aus Edinburgh zurückgekommen, wo
ich in einem kleinen Kellertheater mit Echt seltsam meine eigene Show hatte
— einem Eine-Frau-Kabarett über eine leicht paranoide Person, die bei jeder
Gelegenheit eine Verschwörung sieht und dessen Running Gag lautet »Irgendwas
ist hier echt seltsam...« Eines Nachmittags ging ich an einem Theater im West
End vorbei und sah im Schaukasten die Besprechungen von Jack Burtons Comeback Eingedenk
alter Zeiten. Die Kritiker überschlugen sich förmlich (»Zorniger junger
Mann tobt immer noch...«, »Gehen Sie über Leichen, um dafür Karten zu bekommen...«),
und indem ich schamlos mit dem Angestellten an der Kasse flirtete, schaffte ich
es, mir einen Platz für die Matinee zu ergattern.
    Es war ein Stück für zwei Personen. Ein Paar im
mittleren Alter, das sich in seiner Jugend geliebt hat, trifft sich nach Jahren
zum ersten Mal wieder, als er sie in einem Heim besuchen kommt. Sie hat die
Alzheimersche Krankheit. Ihre Unterhaltung ist zusammenhangslos, anfangs
unverständlich. Die Zuschauer begannen, verlegen zu kichern, aber nach und nach
fängt der Dialog an, Sinn zu machen, weil das Stück so ungemein raffiniert
geschrieben ist. Die Geschichte ihrer Liebesaffäre und ihrer Fehde kehrt in
Fragmenten zurück, während sie die Pralinen ißt, die er ihr mitgebracht hat.
    Die Leistung der Schauspielerin war
bemerkenswert. Bei mehreren Gelegenheiten, wenn der Rest der Zuschauer lauthals
lachte, weil sie sich so absolut unmöglich aufführte, weinte ich leise über
ihre Authentizität. Wenn man Agatha eine Stufe übertrieb, wurde diese arme Frau
aus ihr. Am Ende des Stückes weinten praktisch alle, weil sie nicht wußten, was
sie denken sollten. Man konnte Sympathie für den Liebhaber empfinden, der ihr
die vergifteten Pralinen verabreicht hatte, und vielleicht war es auch wirklich
ein besserer, menschenwürdigerer Tod. Aber ich glaube, die meisten Leute waren
meiner Meinung.
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