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Mordstheater

Mordstheater

Titel: Mordstheater
Autoren: Imogen Parker
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wirklich auf den ersten Blick von
meiner neuen Chefin gemocht werden wollte. Ich war noch nie Sekretärin gewesen,
und ich war mir nicht sicher, welcher Art das Verhältnis sein sollte. Was noch
wichtiger war, ich wußte, daß meine äußere Erscheinung, die das einzige war,
nach dem sie mich überhaupt beurteilen konnte, keinen Hinweis auf meine Persönlichkeit
gab. Ich hatte für meinen ersten Tag ein ziemlich gängiges, blau-weiß
gepunktetes Kleid gekauft, hauptsächlich seiner Anonymität wegen.
    »Es waren die Schuhe, vermute ich«, sagte
Agatha, als würde sie meine unausgesprochenen Zweifel beantworten.
    Ich trug magentarote Wildlederpumps, von einer
Studienfreundin entworfen, die kürzlich in der Vogue groß herausgekommen
war und die man sich seitdem nicht mehr leisten konnte.
    »Miranda Moss. Ich habe ein Paar in Türkis und
eins in Gelb. Außer, daß ich die Gelben anscheinend nie trage«, fügte sie etwas
verloren hinzu.
    Ich stimmte zu, daß Gelb im Laden oft eine gute
Idee zu sein schien, sich aber immer irgendwie als Fehler herausstellte. Sie
war mit dem immer nicht einverstanden und eröffnete, daß eines ihrer
allerliebsten Kleider (aber sie sagte Fummel) aus gelbem Taft sei, original New
Look, mit zitronengelbem Reifrock, wovon man nicht denken würde, daß es gut
zusammenginge, aber das täte es ganz entschieden. Ich versuchte, sie mir darin
vorzustellen.
    »Aber doch sicher nicht mit gelben Schuhen?«
wagte ich zu äußern.
    »Natürlich nicht«, gab sie ziemlich scharf
zurück und nahm den Hörer ab, um einen Anruf entgegenzunehmen.
     
    Ich schaute mich mit einiger Ehrfurcht in Agatha
Browns Büro um. Ein breiter viktorianischer Schreibtisch stand zwischen zwei
vom Boden bis zur Decke reichenden georgianischen Fenstern, die die Dächer von
Soho überblickten (wir waren im dritten Stock). Die Vorhänge waren aus dickem,
rotem, seidigem Samt, dem man ansah, daß er lange Jahre hin- und hergezurrt
worden war, der Boden eine Ansammlung von persischen Läufern. Eine Wand wurde
gänzlich von Bücherreihen eingenommen, zumeist Theaterstücke und Programme, die
andere war eine Collage aus Postern, Telegrammen und Karten, wie eine gigantische
Pinnwand. Verstaubte Stoffrosetten, die Überbleibsel von über viele Jahre
hinweg gesendeten Buketts, dazwischengestreute Dankesbriefe, Premierenfotos und
Besprechungen aus Zeitungen in aller Welt. In einem Ledersessel schlief eine
riesige getigerte Katze. Ich hatte sie für ein Kissen gehalten, bis sie sich
rührte und anfing zu schnarchen. Manuskripte lagen stapelweise überall auf dem
Boden und auf dem seltsam unpassenden Fünfziger-Jahre-Sofa mit seinem
Kunstleopardenfell herum. Auf einem Beistelltisch blubberte eine Blasenlampe in
Lila und Orange leise vor sich hin und versetzte mich in eine dieser leuchtend
klaren Kindheitserinnerungen zurück.
    Eine der letzten Erinnerungen, die ich an meinen
Vater habe, bevor er uns verließ, ist, wie er und ich den Markt in der
Portobello Road hinabgingen. Es war ein winterlich dunkler Nachmittag, und
einer der Stände war von einer Auslage jener Lampen erleuchtet, die damals ein
solches Sinnbild modernen Lebens waren. Ich kann immer noch hören, wie der
Generator summte, während ich dastand und schaute, fasziniert von ihrem öligen,
künstlichen Licht. Ich erinnere mich, wie ich mir wünschte, wir wären die Sorte
Familie, die so eine Lampe auf ihrem Fernseher stehen hatte; die Sorte Familie,
die Fischstäbchen und Vanillepudding mit Himbeersoße aß; und ich hätte eine
Barbie-Puppe zum Spielen. Ich erinnere mich, wie ich dort stand und verzweifelt
normal sein wollte. Sicherlich, als er fortging und ich nicht mehr länger
vegetarisch essen oder Kartoffeldruck machen mußte, verblaßten die
Familienfreuden in den Anzeigen etwas, und immer wenn ich eine dieser
Blasenlampen sehe, erfüllt mich ein merkwürdiges Schuldgefühl, wieder den
mahnenden Blick meines Vaters zu sehen, als er meine Hand nahm und mich
entschlossen zu dem Stand hinzog, der Linsen lose im Pfund verkaufte.
     
    »Nun, Sophie, wenn ich darf. Sie müssen mich
natürlich Agatha nennen. Es gibt eine ganze Menge zu tun. Suchen Sie zuerst die
Küche, und machen Sie uns eine Kanne Kamillentee. Dann werden wir ein wenig
plaudern.«
    Aber da sie ständig am Telefon war, bis sie zum
Mittagessen ging und bis nach halb fünf nicht zurückkam, plauderten wir an
diesem Tag nicht. Ich verbrachte den Rest des Vormittags damit, die Post zu
öffnen und mich mit der
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