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Mordstheater

Mordstheater

Titel: Mordstheater
Autoren: Imogen Parker
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sich
herablassen, sie zu besuchen, und dort darüber diskutieren, wie der Wohlstand
des Landes zu steigern ist. Fototermine in Fish-and-Chips-Bars,
Splittergruppenversammlungen in blinkenden Discos, das morgendliche Interview
am windgepeitschten Strand. Einen Nachrichtenclip lang sieht die britische
Öffentlichkeit die Küste auf ihren Fernsehschirmen und erinnert sich, wie es
dort einmal war, bevor sie teurer wurde als eine Pauschalreise nach Korfu.
    »Hallo, schöne Frau!«
    Es begann, dunkel zu werden, als Martin mein
drittes Ei-mit-Kresse-Sandwich unterbrach. Ich trank den Bodensatz meines Tees
und schlug vor, das Pier zu besuchen, bevor es geschlossen wurde. Er legte den
Arm um mich, während wir die Promenade entlanggingen.
    Wenn sich irgendjemand dafür interessiert hätte,
wären wir ein ungleiches Paar gewesen. Er in seinem schicken Anzug und einem
dunkelblauen Kaschmirmantel, ich in alten Jeans und Doc-Martens-Boots und
meiner abgetragenen, aber warmen, echten Baseballjacke mit Lederärmeln, auf der
oberhalb meiner rechten Brust »Jerry« eingestickt ist und auf dem Rücken das
Logo der New York Mets. — Ein geschätztes Geschenk. Wenn man es ein Geschenk
nennen konnte. Ich hatte sie Vorjahren an einem kalten Morgen auf dem
Nachhauseweg getragen und versäumt, sie ihm jemals wiederzugeben.
    Martin erzählte mir von seinem Treffen. Er war
einigermaßen optimistisch, daß es erfolgreich verlaufen war. Er fragte, wie es
mir ergangen sei, seit er das letzte Mal von mir gehört hatte. Ich sagte ihm,
ich würde die Seeluft so sehr genießen, daß ich im Moment nicht darüber reden
wolle. Er schaute mich zweifelnd an.
    Ich weiß nicht, ob man Martin als gutaussehend
beschreiben könnte. Er ist mittelgroß, ziemlich schmächtig, hat lockige,
mittelbraune Haare, die er für meinen Geschmack viel zu kurz trägt, und hübsche
graue Augen. Er sieht ein bißchen zu nett aus, um sexy zu sein, ein
abscheulicher Gedanke, der mehr über mich als über ihn sagt, aber es ist
trotzdem wahr. Er ist der einzige Mann, dem ich je begegnet bin, der nicht die
geringste Spur von Frauenfeindlichkeit hat. Ich schaute hoch zu ihm, wie er
artig neben mir her schlenderte, während der Wind sein bißchen Haar von seinem
Gesicht wegpeitschte, und dachte, wie sehr ich mich auf ihn verlassen konnte
und ihn liebte.
    Wir standen eine Weile da und beobachteten, wie
die letzten Schimmer des Tageslichts entschwanden und die Lichterketten des
Jahrmarkts und das pulsierende Neonlicht ihr nächtliches Territorium
einforderten. Wir waren allein am Ende des Piers, außer ein paar Anglern. Einer
von ihnen spulte eine Makrele hoch; sie zappelte sekundenlang silbern in der
Luft, bevor sie auf die Holzbohlen klatschte. Ein Tropfen dicken Fischbluts
schnellte beim Aufprall aus ihren zerrissenen Kiemen und traf mich knapp unter
dem linken Auge. Als ich so dastand, ganz bestürzt, hatte ich ein seltsam
starkes Empfinden, an einem Scheidepunkt in meinem Leben zu stehen. Ich konnte
dem Wegweiser folgen, auf dem stand »Los, heul schon, du hast eine beschissene,
unfaire Zeit gehabt, und das bekräftigt es einfach nur!« oder jenem, auf dem
stand »Ach, um Himmels willen, was ist denn schon ein Spritzer von einem toten
Fisch in deinem Gesicht!«
    Ich fing an zu lachen und lachte immer weiter,
während Martin meine Wange mit seinem makellos weißen Baumwolltaschentuch
abtupfte und mir befahl, stillzuhalten, weil ich es sonst nur noch schlimmer
machte.
    »Der Walzer« hatte geschlossen und »Die
Peitsche« ebenfalls. Der Mann von der Geisterbahn packte zusammen. Er schaute
uns hoffnungsvoll an. Wir liefen an ihm vorüber und zu der eben neu
eingerichteten viktorianischen Bar zurück, an der wir auf dem Weg zum Meer
vorbeigekommen waren. Darin gab es eine komische Mischung aus Plastik-Art deco,
rosa Gardinchen, und Dampf, der die Fenster beschlug und die Aussicht
blockierte.
    Martin zog eine Augenbraue hoch, als ich sagte,
ich wolle einen Orangensaft.
    »Ich habe beschlossen, eine Zeitlang auf Alkohol
zu verzichten«, sagte ich feierlich. Zu sehen, was er mit Dorothy und Agatha
Brown gemacht hatte, hatte mir ziemliche Angst eingejagt.
    Er bestellte einen großen Brandy und ließ sich
auf einer mit kastanienbraunem Pseudosamt bezogenen Sitzgruppe nieder, um sich
meine Geschichte anzuhören.
     
    »Aber, was ich nicht verstehe«, sagte er, als er
mit seinem dritten Brandy und einer Cola für mich vom Tresen zurückkam (ich
wußte, ich würde es nicht lange als
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