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Nähte im Fleisch - Horror Factory ; 17

Nähte im Fleisch - Horror Factory ; 17

Titel: Nähte im Fleisch - Horror Factory ; 17
Autoren: Bastei Lübbe
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    Kais Gesicht war blutleer. Auf der Stirn glänzte Schweiß. Seine krampfhaften Schluckbewegungen wirkten, als versuchte er, sein Essen bei sich zu behalten. Er hatte die Fäuste um das Lenkrad gekrallt und starrte durch die Windschutzscheibe auf den Eingang des Krankenhauses.
    Annika legte ihre Hand auf seine. Die vorstehenden Knöchel fühlten sich kalt und hart an wie Porzellansplitter.
    »Ich geh jetzt.«
    Ruckartig drehte er den Kopf zu ihr. Sein Mund verzerrte sich zu etwas, das ein Lächeln sein sollte. »Ich würde dich ja gern reinbringen …«
    »Ich weiß«, sagte sie und küsste ihn. »In zwei oder drei Tagen bin ich wieder draußen.«
    Er nickte schwach und atmete tief durch. »Ich ruf dich an!«
    »Ich lass das Handy eingeschaltet.«
    Sie stieg aus dem Wagen, öffnete die Hintertür und hob ihren Rucksack von der Rückbank. Dann schlug sie beide Autotüren zu, warf Kai noch eine Kusshand zu und wandte sich ab.
    Er sah ihr durch die Seitenscheibe hinterher, wie sie über den Parkplatz zügig auf den Klinikeingang zustrebte. Eine Frau im Rollstuhl wurde aus der geräumigen Drehtür geschoben, gefolgt von einem Jungen, der auf Krücken ins Freie humpelte.
    Er startete den Wagen, lenkte ihn an den Reihen geparkter Fahrzeuge vorbei zur Ausfahrtsschranke. Kurz befiel ihn eine panische Angst, er könnte die fünfzehnminütige Gratisparkzeit überschritten haben und müsste nun zum Klinikeingang laufen, wo der Parkscheinautomat stand. Doch das Ticket wurde angenommen, und die Schranke hob sich.
    Während er das Klinikgelände hinter sich ließ, spürte Kai, dass er sich allmählich entspannte. Nachdem er seine Freundin zum Klinikum gebracht hatte, bestand kein Grund mehr zur Eile. Annika war für 7:30 Uhr in die Aufnahme des Krankenhauses bestellt worden. Doch im Büro erwartete man ihn erst um 9:00 Uhr.
    Es freute ihn, dass Annika gelassen an die Sache heranging. Vor fünf Wochen hatte sie bei einer gynäkologischen Vorsorgeuntersuchung den Befund erhalten: Eierstockzyste. Dem CAT-Scan zufolge, der daraufhin in der Klinik gemacht worden war, handelte es sich genau genommen um einen Dermoid-Tumor. Besonders oft entwickelten sich Dermoid-Tumoren an den Ovarien junger Frauen. Ihre Entfernung war ein Routineeingriff, der stationäre Aufenthalt in der Klinik dauerte nur wenige Tage.
    Diese Tumoren waren zwar gutartig, aber auch irgendwie gruselig. Dermoid-Tumoren, hatte Kai gegoogelt, waren Mischgeschwulste, sogenannte Teratome, die bereits im Embryonalstadium der Betroffenen aus primitiven, omnipotenten Keimzellen entstanden. Das Wort »Teratos« kam aus dem Griechischen und bedeutete »Schreckbild« oder »Ungeheuer«. Teratome konnten aus allen möglichen unterschiedlichen Gewebearten bestehen. Ein solcher Tumor mochte Haut, Fett, Haare, Knorpel, Knochen, organisches Gewebe und sogar fertig ausgebildete Zähne enthalten. Das Exemplar, das bei Wikipedia gezeigt wurde, sah aus wie die Hand eines Leprakranken. Doch was den Anschein von verstümmelten Fingern erweckte, waren in Wahrheit fünf menschliche Zähne, den Rest bildeten Haare und Haut. Er hatte Annika das Foto verschwiegen. Aber wahrscheinlich hatte sie selbst bei Wikipedia nachgesehen – und es danach rücksichtsvoll ihm vorenthalten.
    Die nächste Ampel sprang auf Gelb, und Kai hielt an. In diesem Moment trillerte sein Handy.
    Annika hatte eine SMS geschickt.
*
    Der Anmeldebereich des Krankenhauses war nicht annähernd voll besetzt. Dennoch schätzte Annika, dass auf den Plätzen mindestens zwei Dutzend Wartende saßen, die vor ihr drankamen. Hin und wieder erschienen Nummern auf einer elektronischen Anzeigetafel, woraufhin Patienten ihre Plätze verließen und zu einer der Kabinen am Ende des Wartetrakts gingen.
    Annika zog eine Wartenummer am Automaten und fand einen Sitzplatz, wo sie für sich war. Sie nahm das Buch mit den englischen Kreuzworträtseln zur Hand, das sie griffbereit in die Außentasche des Rucksacks gesteckt hatte. Noch während sie nach dem Kugelschreiber suchte, fiel ihr etwas ein.
    Sie legte das Buch auf den Nachbarsitz. Dann holte sie ihr Smartphone aus der Jackentasche und schaltete es ein, damit sie erreichbar war, wie sie es versprochen hatte.
    Sie schob das Smartphone zurück in die Tasche. Doch da kam ihr ein Gedanke.
    Sie zog es wieder hervor und überlegte kurz. Schließlich formte sie einen Kussmund und fotografierte ihn. Dann schrieb sie eine Kurznachricht: Tricksen oder triezen? Aber lass die Finger von Frankensteins
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