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Scherbenhaufen

Scherbenhaufen

Titel: Scherbenhaufen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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    Es muss so um 7 Uhr morgens gewesen sein.
    Beißender Rauchgestank verirrte sich bis in den weihnachtlich geschmückten Dorfkern von Gstaad im Berner Oberland. Den winterlich vermummten Nachtschwärmern auf den verschneiten Trottoirs verrauchte die Partylaune augenblicklich. Manch einer zwischen der Pianobar Chesery und Rosie’s Suite at Hush machte sich Sorgen um Hab und Gut. Woher stammte dieser Qualm? Welcher Pechvogel verlor sein Feriennest? Wo wurden goldene Eier gebraten?
    Eine Viertelstunde später raste der komplette Löschzug Richtung Oberbort. Das gab zu reden. Der angepeilte Südhang oberhalb des Palace Hotels gilt als Wohnsitz der Reichen und Schönen. Spekulationen machten die Runde. Wilde Gerüchte mischten sich in den Geruch von verkohltem Holz, geschmolzenem Kunststoff und verbranntem Fleisch. Löste sich Roman Polanskis Chalet in Rauch auf? Hatte Gunter Sachs’ Liebesnest Feuer gefangen? Verbrachte Johnny Hallyday eine unholy night?
    Bereits im Verlauf desselben Tages wurde es im Saanenland zur Gewissheit, dass es sich beim Eigentümer der betroffenen Liegenschaft nicht um eine internationale Berühmtheit, sondern um Adam Füssli handelte, einen umstrittenen Thuner Amtsrichter. Niemand mochte nämlich so recht daran glauben, dass sein reguläres Salär auch nur annähernd zum Erwerb einer überteuerten Immobilie an der Alpinamatte-Straße ausgereicht hätte.
    »Seit der Adam seine Eva gefunden hat, lebt er auf großem Füssli«, wurde hinter seinem Rücken gespottet.
    Den ungewöhnlichen Geldsegen verdankte er tatsächlich seiner ersten Ehefrau, der geschiedenen Gattin eines germanischen Fußballgottes und dem traurigen Umstand, dass diese nur wenige Monate nach der Hochzeit mit einem Strick um den Hals im Bremgartenwald bei Bern aufgefunden worden war.
    Vorübergehend geriet Adam Füssli unter Verdacht. Es konnte ihm aber nichts nachgewiesen werden. Einmal mehr galt sowohl für ihn als auch für die unbekannte Täterschaft der Leitspruch, nicht gefangen, nicht gehangen. In der Bevölkerung hielten sich die Zweifel an seiner Unschuld.
    Als Adam Füssli innert Jahresfrist die Ehe mit der verwitweten Erbin eines Genfer Nahrungsmittelkonzerns schloss, wehten dem Bräutigam Missgunst und Misstrauen der Oberländer noch heftiger entgegen.
    Seiner beruflichen Stellung konnte das Gemunkel vorerst nicht viel anhaben. Erst als es um die Frage ging, wer demnächst neuer Präsident im Gerichtskreis Thun würde, drohte Adam Füsslis Karriere zu scheitern. Ein valabler Gegenkandidat gefährdete die präsidiale Zukunft. Die Vertreter der Schweizerischen Volkspartei portierten nämlich Beat Zurbuchen, einen eloquenten Juristen aus Interlaken.
    Als Alt-Sozi erfuhr Adam Füssli durch seine Genossen wesentlich flauere Unterstützung. Vielleicht auch darum, weil er mit einem steuerbaren Vermögen in zweistelliger Millionenhöhe nicht mehr wirklich ins rote Lager passte.
    Am Wochenende vor der Entscheidung geschah Unerwartetes.
    Beat Zurbuchen unternahm eine Hochgebirgstour, um »nochmals richtig durchzuatmen.« In luftiger Höhe der Gspaltenhornhütte traf er nach Auskunft des Schweizerischen Alpenclubs jedoch nie ein. Zwar wurde der erfahrene Berggänger von verschiedenen Alpinisten in der Sefinafurgge gesichtet. Von dort weg wurde der 30-jährige Anwalt vermisst. Die intensiven Suchaktionen der Rettungskolonne SAC, der kriminaltechnischen Spezialtrupps mit Leichenhunden und des Helikopterpiloten blieben erfolglos.
    Zwischenzeitlich wurden in der helvetischen Tagespresse Name und Bild des verschwundenen Alpinisten veröffentlicht. Das unscharfe Porträtfoto zeigte den Juristen in Anzug und Krawatte. Damit weckte es den kuriosen Eindruck, Beat Zurbuchen sei womöglich in Nadelstreifen auf den Berg gestiegen. Erst das knapp gefasste Signalement sorgte diesbezüglich für Klarheit.
    ›Der Vermisste ist 182 cm groß, schlank und trägt eine rote Jacke sowie blaue Wanderschuhe. Die Polizei bittet um Hinweise.‹
    Der Thuner Amtsrichter, der sich zufälligerweise in derselben Bergregion aufgehalten hatte, bot den lokalen Behörden seine Unterstützung an. Allen Bemühungen zum Trotz blieb sein Gegenkandidat unauffindbar.
    Nach zweiwöchigem Aufschub wurde schließlich erwartungsgemäß Adam Füssli in Amt und Würden eines Gerichtspräsidenten gesetzt. Er drückte den Angehörigen von Beat Zurbuchen sein Beileid und der Wahlbehörde seinen Dank aus.
    Die Unterstellung, das ›Füßchen‹ lache sich jetzt ins
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