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Mord im Tal der Koenige - Historischer Roman

Titel: Mord im Tal der Koenige - Historischer Roman
Autoren: Cay Rademacher
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sodass noch kein Dunst aus Kalkstein- und Granitmehl die Sicht trübte und die Lungen zum Husten reizte. Keine Stadt der Welt, behaupteten die wandernden Geschichtenerzähler am Hafen, habe ein Aroma, das dem des hunderttorigen Theben gleichkäme: nach Duftölen und Schweiß, nach Rosen und Akazien, nach menschlichen Ausscheidungen und Rinderdung, nach Wein und frisch gegorenem Bier, nach Koriander und Thymian, nach Zwiebeln, Lauch und altem Bratenöl, nach frisch gebackenem Brot und abgestandenem Wasser.
    Rechmire berauschte sich an dem Duft. Ihm war, als sei er wie unsichtbare Nahrung, die seinen Körper stärkte. Er fühlte sich erfrischt und eilte mit schnellen, federnden Schritten durch das Gewirr. Er hatte nicht viel Zeit zu verlieren.
    Nach einer halben Stunde stand er endlich keuchend vor seinem Haus, das sich in der Nähe des Hafens befand. Zwar konnte er von dort aus noch nicht den Nil sehen und das Durcheinander der Waren an den Kais, wohl aber die Masten der Barken, die die niedrigen Dächer überragten. Rechmire fühlte die Scham wie einen Stich, als er sein Haus anblickte: Die Außenwand war schmutzig, der Putz musste an einigen Stellen dringend repariert werden, denn die Lehmziegel schimmerten bereits durch; die Stofftücher, die in den Lüftungsschlitzen flatterten, damit der Wind keine Mücken und Fliegen ins Innere tragen konnte, waren farblos und zerschlissen; die Farbe auf der rot-weiß gestrichenen Tür war stumpf geworden. Sein Haus war zwar schon etwas größer als die der Tagelöhner, Hafenarbeiter oder alten Soldaten der Nachbarschaft, doch jeder konnte sehen, dass seinem Besitzer die Mittel fehlten, es ordentlich instand zu halten.
    Er klopfte an die Tür, lauter als notwendig. Es schien eine kleine Ewigkeit zu dauern, bis er von drinnen schlurfende Schritte hörte.
    »Chui, schüttel deine müden Knochen durch und beeil dich«, rief Rechmire wütend, »oder mein Stock treibt dich an wie einen Esel!«
    Ein alter Sklave öffnete ihm. Chui und seine Frau Nebtu waren Rechmire vor drei Jahren von seinen Adoptiveltern geschenkt worden, als er ihr Haus verlassen und in dieses sein erstes eigenes Heim eingezogen war.
    Chui streckte die Hände ehrerbietig vor und verbeugte sich stumm. Er hatte einmal besorgt gefragt, wo Rechmire seine Zeit verbringe, wenn ihn die unbekannte Frau abholte, doch sein Herr war wütend geworden und hatte ihm einige Stockschläge versetzt, sodass er seitdem schwieg. Auch seinen Adoptiveltern hatte Rechmire nichts von Baketamun erzählt, Freunde hatte er keine – niemand, den er kannte, wusste um sein Geheimnis.
    »Ich brauche neue Lendentücher und Sandalen, außerdem eine große Schüssel Waschwasser«, befahl Rechmire. »Nebtu soll mir Brot und Honig bringen, ich bin hungrig.«
    Chui verbeugte sich und verschwand, während sein Herr durch einen schmalen Gang in den winzigen Innenhof seines Hauses eilte.
    Eine Sykomore wuchs über einem winzigen Teich und zwei Chrysanthemenbeeten, beide kaum größer als die Leinentücher, mit denen sich die Reichen nach dem Mahl die Finger trockneten. Die Wände seines Hauses waren mit Fresken geschmückt, die Jagdszenen zeigten und darstellten, wie Rechmire dem Thot opferte. Es waren grobe, schlampig ausgeführte Arbeiten, die Menschen und Götter unproportioniert, die Hieroglyphen mit unsicherer Hand an die Wand geworfen – billige Nachahmungen des prächtigen Wandschmucks, den er in den Palästen Mentuhoteps oder Userhets bewundert hatte.
    Doch Rechmire träumte davon, einmal zu werden wie diese Männer: reich, mächtig und fett vom guten Essen. Er steckte all seine äußerst bescheidenen Mittel darein, in seinem Leben das der hohen Beamten und Priester so weit wie nur möglich nachzuahmen. Sein Vater Simut war Soldat gewesen und als Krüppel vom letzten Feldzug des großen Ramses nach Theben zurückgekehrt; seine Mutter Hemre hatte sich seitdem als Wäscherin durchgeschlagen. Rechmire war ihr fünftes Kind gewesen – eines zu viel, eines, das sie nicht mehr ernähren konnten. Als er fünf Jahre alt war, hatten ihn seine Eltern verkauft. Rechmire hatte nie das Gefühl vergessen, überzählig, überflüssig zu sein, obwohl seine Adoptiveltern Raia und Meresanch, die ihn gekauft hatten, für ihn alles taten, was in ihrer bescheidenen Macht stand.
    Raia war Schreiber im Hafen, wo er die Ladelisten der Schiffe kopierte. Es war einer der niedrigsten Posten, die ein Schreiber einnehmen konnte, immerhin gehörte er trotz seiner Armut
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