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Der Atem der Apokalypse (German Edition)

Der Atem der Apokalypse (German Edition)

Titel: Der Atem der Apokalypse (German Edition)
Autoren: Sarah Pinborough
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Prolog
    Er schlingt den Mantel enger um seinen mageren Körper und zieht das Kinn zur Brust. Das Jahr neigt sich dem Ende zu und legt die entsprechende Bitterkeit in jeden Eishauch des Windes, der auf ihn einprügelt. Die junge Frau auf der Schwelle hebt den Blick, der bereits glasig wird. Ihre Miene spiegelt Verwunderung und Verwirrung wider. Doch das wird sich gleich ändern, das weiß er.
    »Das ist das Wort eures Gottes«, sagt er und lächelt sanft. »Ihr sollt es verbreiten.«
    Sie öffnet leicht den Mund, aber er wendet sich ab und geht, ehe sie was auch immer von sich geben kann – besonders originell kann es nicht sein. Der gemurmelte Dank der Junkies, die auf Türschwellen hausen, hört sich immer gleich an; er hat es oft genug erlebt – in dieser Nacht und der davor und der davor. Er war eifrig unterwegs, um sein Wort in Gassen und unter Brücken zu verbreiten, wo die Unsichtbaren sich versammeln. Es gibt ihm ein ruhiges Gefühl der Zufriedenheit, das seine eigene Bitterkeit lindert.
    Er lässt sie stehen – high und im Sterben – und schlendert weiter durch die Straßen der Stadt. Gleich ist Mitternacht, doch die Hauptstadt schläft nie. Er sieht in die lächelnden, strahlenden Gesichter; vielleicht ist es an der Zeit, sein Wort noch ein wenig weiter zu verbreiten.
    Ein Pärchen lacht und schmiegt sich aneinander. Der Mann raucht. Nur darum stehen sie draußen in der Kälte statt es drinnen warm zu haben, aber die Kälte scheint ihnen nichts auszumachen. Sie tragen Eheringe, doch er bezweifelt, dass sie miteinander verheiratet sind. Ein Hauch von Büroflirt liegt in der Luft und er sieht der Frau an, dass sie in Gedanken meilenweit von ihrem Mann entfernt ist. Heute Nacht will sie nur die Hände, die Berührungen und den Charme dieses Mannes. Sie fühlt sich wieder jung und sexy, nicht nur wie eine Ehefrau und Mutter.
    Er geht hinein, holt sich ein Bier der gleichen Marke und stellt sich hinter die beiden. Niemand beachtet ihn. Es ist schon spät und alle Welt ist anscheinend gut gelaunt. Hier und da flackert es golden, aber das Leuchten ist so schwach, dass es geradezu peinlich ist. Die Frau und der Mann haben es nicht.
    Ihre Bierflaschen stehen auf dem Fensterbrett des Pubs und er braucht nur eine Sekunde, um das zu tun, was er mit ihrem Bier anstellt. Er wartet geduldig, bis ihr Begleiter drinnen auf die Toilette geht und sie nach der Flasche greift. Er sieht zu, wie sie trinkt, und stellt sich neben sie. Er lächelt, als ginge es ihm ebenfalls so gut wie noch nie, was auf eine perverse Art vielleicht sogar stimmt.
    »Happy Halloween«, sagt er und stößt mit ihr an.
    Sie lächelt und trinkt.
    »Das ist das Wort eures Gottes.« Als er nicht zurücklächelt, wird sie unsicher. »Ihr sollt es verbreiten.«
    »Was haben Sie gesagt?«
    Er gibt ihr keine Antwort und wendet sich ab. Im Fortgehen wirft er die halb volle Bierflasche in einen Abfalleimer. Er ist zufrieden. Das ist sein neuer Absatzmarkt.

1
    Cass drehte sich erst um, als er von der Tür her unsichere Schritte hörte. Es war still in der Kirche. Er hatte sich in eine der hinteren Reihen gesetzt, weit weg von den beiden alten Frauen, die das Silber polierten und den Blumenschmuck aufstellten. Dabei beachteten sie ihn gar nicht; er hatte eine Kerze angezündet und bewegte jetzt stumm den Mund – das reichte aus, damit sie ihn für ein Schäfchen ihrer Herde hielten. Die Ansprüche waren gesunken – die Kirche war ein Club, der verzweifelt neue Mitglieder suchte.
    Er hob die Hand, um den alten Mann zu begrüßen, der einen kleinen Koffer umklammerte, doch selbst dann brauchte Pater Michael mehrere Sekunden, bis er ihn erkannte. Nervös hastete er auf ihn zu.
    »Cass«, sagte er und suchte in seiner Miene nach einem Zeichen von Schuld oder Unschuld. »Du hast abgenommen. Und die Frisur …«
    »Es würde mir schlecht bekommen, wie Cass Jones auszusehen. Und wenn einem einer ein Loch in die Schulter pustet, kann man schon mal ein paar Pfund abnehmen.«
    »Selbstverständlich.« Pater Michael sah ihn entschuldigend an. »Geht es dir denn gut? Du bist einfach verschwunden – ich habe mir Sorgen gemacht. Natürlich war ich überrascht, als du dich gemeldet hast, aber gefreut habe ich mich auch …«
    »Ein Freund hat sich um mich gekümmert«, erwiderte Cass. »Langsam geht es besser«, fügte er hinzu.
    Sie schwiegen unbeholfen, als für einen Moment alle Beschuldigungen in der Luft hingen, die die Weltpresse gegen Cass erhoben
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