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Mord im Tal der Koenige - Historischer Roman

Titel: Mord im Tal der Koenige - Historischer Roman
Autoren: Cay Rademacher
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jedoch zur Elite der wenigen, die lesen und schreiben konnten. Er und seine Frau hatten keine eigenen Kinder bekommen und ihn deshalb gekauft, um einen Sohn und Nachfahren zu haben, der einst ihren Totenkult pflegen würde. Sie hatten Rechmire stets in seinem brennenden Ehrgeiz unterstützt, der Armut und Machtlosigkeit zu entkommen.
    »Werde Schreiber, es rettet dich vor harter Arbeit und jeder Art von Mühe.« Das war der erste Satz, den ihm die strengen Lehrer in der Tempelschule mit Geduld und mit dem Rohrstock beigebracht hatten. Und Rechmire hatte ihn niemals vergessen. Elf Jahre lang hatte er sich in der Kunst geübt, die Hieroglyphen zu lesen und zu schreiben; elf Jahre lang war er von seinen Mitschülern, die aus wohlhabenderen Familien stammten, wegen seiner niedrigen, ja zweifelhaften Herkunft gedemütigt worden. Rechmire hatte alles ertragen, weil er wusste, dass die Schreibkunst für ihn der einzige Weg nach oben sein würde. »Nie habe ich einen Bronzeschmied als Gesandten gesehen und den Goldschmied mit einer Botschaft«, lautete ein anderer Lehrsatz, den er immer und immer wieder abschreiben musste. »Doch ich habe den Schmied bei seiner Arbeit gesehen am Loche seines Ofens. Seine Finger waren wie Krokodilhaut.« Und ein Merksatz, der ihn besonders traf, weil er seine Wahrheit selbst gesehen hatte, lautete: »Der heimkehrende Soldat ist wie Holz, das der Wurm frisst. Er ist krank und muss sich hinlegen.«
    Und nun, da Rechmire von allen Frauen im Lande Kemet ausgerechnet die Tochter des Hohepriesters Userhet liebte, gab es noch ein Feuer mehr, das in ihm loderte.

3. BUCH ROLLE

D ER B EFEHL DES M ENTUHOTEP
    Jahr 6 des Merenptah, Achet, 6. Tag des Paophi, Palast des Tschati Mentuhotep, Theben
    Rechmire hockte mit verschränkten Beinen auf einer Matte in der Halle der Schreiber, auf seinen Knien lag ein Papyrus, dessen rechte Seite zwei Hände breit entrollt war. Zu seiner Rechten lag eine kleine eckige Holzpalette auf dem Boden, in deren runde Vertiefungen Farbtiegel mit schwarzer Kohle und rotem Ocker eingelassen waren; daneben stand ein Töpfchen frischen Wassers.
    Er nahm den unterarmlangen Halm einer getrockneten Binse und kaute auf deren einem Ende, bis es weich und faserig war. Dann tunkte er es in das Töpfchen und verspritzte einige Tropfen auf den Boden aus sorgfältig polierten gelben Kalksteinplatten.
    »O großer Imhotep, der du vom Mensch zum Gott geworden bist, dich ehre ich mit meinem Tun, deiner Weisheit eifere ich nach. Bitte hilf mir, diesen Text fehlerfrei und zum Gefallen meiner Herren zu schreiben«, murmelte Rechmire das uralte Gebet.
    Zur gleichen Zeit drang diese geheiligte Formel aus drei Dutzend anderer Kehlen. Vor, neben und hinter Rechmire saßen die Schreiber des Tschati, die, wie alle Männer ihres Standes, ihr Tagwerk mit dieser kleinen Zeremonie begannen. Zwar hatte der Gott Thot vor zehntausend Jahren die Schrift und überhaupt alle Weisheit der Welt ins Lande Kemet gebracht, damit es der Pharao und die Menschen erblühen ließen, doch die Schreiber gedachten noch lieber Imhotep, der Schreiber des Pharaos Djoser gewesen war. Er hatte vor zwei Jahrtausenden für seinen königlichen Herrn die erste Pyramide erbaut und viele andere Wunder geschaffen. Seine Klugheit hatte ihn mächtig und seinen Ruhm so groß gemacht, dass er als Gott aufgenommen worden war. Er war der größte Schreiber, den das Lande Kemet je gesehen hatte.
    Die Männer auf den Matten beteten ihn nicht nur wegen seiner Weisheit an – sie verehrten ihn auch, weil sie ihm nacheiferten. Keiner würde es offen zugeben, doch jeder von ihnen träumte davon, so bedeutend zu werden wie Imhotep, als Berater, vielleicht gar Vertrauter zu Füßen des Pharaos zu sitzen, über Heere von niederen Schreibern und Arbeitern zu gebieten und mit ihnen Wunderwerke zu schaffen, die alle Zeiten überdauerten und den eigenen Namen unsterblich machten.
    Als das Murmeln des Gebets verhallt war, wurde es ruhig in der hohen, gelb verputzten Halle, deren Wände mit großen Fresken zu Ehren Thots verziert waren. Aus großen Oberlichtern fiel sanftes, gleichmäßiges Licht, das die Augen nicht so schnell ermüden ließ, auf die gebeugten Rücken der Männer. Rechmire konnte nur das Tropfen einer großen Wasseruhr hören, die an der Stirnseite der Halle stand und anzeigte, wie lange sie noch zu arbeiten hätten, bevor sie ihr Mittagsmahl einnehmen durften. Und natürlich wisperte das leise Kratzen der Schreibbinsen auf Papyrus
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