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Mord im Tal der Koenige - Historischer Roman

Titel: Mord im Tal der Koenige - Historischer Roman
Autoren: Cay Rademacher
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Steinen jagten, würden ihn hoffentlich seine schweren Sandalen bewahren. Als Kenherchepeschef mit schnellen Schritten auf dem Pfad ausschritt, der vom Dorf höher in die Felsen führte, erhob sich von einer Dachterrasse eine dunkle Gestalt, die dort bis dahin versteckt gelegen hatte.
    Kenherchepeschef war den Weg so oft gegangen, dass er auch mit verbundenen Augen nicht einmal gestolpert wäre. Er führte einige hundert Schritte bergan. Der Schweiß lief ihm in Strömen unter der Filzkappe hervor, doch er hielt es für sicherer, auch jetzt die dunkle Kleidung anzubehalten. Einmal glaubte er, ein leises Knirschen zu hören, als wäre jemand auf ein Steinchen getreten und hätte es unter seinem Körpergewicht zermahlen. Kenherchepeschef drückte sich in eine schmale Felsspalte und blieb lange in diesem schattigen Versteck, um zu lauschen. Doch er konnte nichts Verdächtiges mehr hören. Er murmelte einen magischen Spruch zur Abwehr von Dämonen und schlich schließlich weiter voran.
    Nach einer halben Stunde gelangte er auf ein kleines Felsenplateau hoch über dem Dorf. Zu seiner Linken erhob sich Dehemet, ein Berg, dem die Götter die heilige Form der Pyramide gegeben hatten. Hier thronte Meretseger: Die, die das Schweigen liebt, die kobragestaltige Göttin und Beschützerin der schroffen, unzugänglichen Täler zu ihren Füßen. Kenherchepeschef griff nach seinem Anch-Amulett, das ebenfalls um seinen Hals baumelte, und bat Meretseger, ihm gnädig zu sein.
    Etliche hundert Schritte rechts von ihm schimmerte das majestätische, dunkle Band des Nils wie ein endloser Strom schwarzer Tinte, der vom südlichen zum nördlichen Horizont floss. Seine schlammigen Wasser waren, wie immer um diese Zeit im Jahr, weit über die Ufer getreten und bedeckten die Felder der Bauern, die fast bis zu den schroffen Klippen reichten, durch die Kenherchepeschef schlich. Zu seinen Füßen, gut dreihundert Ellen unter ihm am Fuß der Felsen, erahnte er die Umrisse des gewaltigen Totentempels, den Ramses zu seinem Ruhm und zum Ruhm des Gottes Amun einst hatte errichten lassen. Dort unten erhellte das flackernde Licht Dutzender Fackeln hin und wieder einen Säulenschaft, breit wie fünf Männer, oder Teile eines mit farbigen Hieroglyphen geschmückten Pylons, eines gewaltigen Tempeltores. Wahrscheinlich zelebrierten einige Priester eine Kulthandlung zu Ehren des großen Ramses, des Vaters und vergöttlichten Vorgängers des jetzigen Pharaos.
    Pharao! Kenherchepeschef blickte nach Osten, wo, jenseits des Nils, eine schier endlose Lichterkette aus Fackeln und Öllampen den Horizont illuminierte. Dort lag Theben, die größte Stadt im Lande Kemet und in der ganzen Welt, hier hatte Amun seinen Palast, der mächtigste Gott des Kosmos, hier schlug das Herz der Beiden Reiche – und hier würde in wenigen Tagen der Pharao seinen prachtvollen Einzug halten, um, wie es uralter Brauch war, das Opet-Fest zu feiern und dem Amun zu huldigen.
    Und er, Kenherchepeschef, würde den Pharao sehen dürfen, würde die Luft atmen, die er geatmet hatte, würde vielleicht gar die Gnade erlangen, den Boden küssen zu dürfen, auf den der Pharao seinen Fuß gesetzt hatte! Er würde das Dorf, das er vierundzwanzig Jahre lang beherrscht hatte, endlich verlassen, um über eine andere, größere, reichere Stadt, vielleicht gar einen ganzen Gau im Lande Kemet zu gebieten. Er würde goldene Ketten aus der Hand des Pharaos empfangen und unzählige Deben Silber und Kupfer von den Bittstellern, die sich seine Gnade erkaufen wollten. Zweimal hundert Sklaven würden ihn bedienen, die Tonkrüge seiner Bibliothek würden sich mit den kostbarsten und ältesten Papyri füllen, Schreiber würden seinen Namen für die Ewigkeit bewahren – und, wichtiger als alles andere, die Magier des Hof des Pharaos, die weisesten der Beiden Reiche, würden endlich die Dämonen bannen, die ihn so oft in seinen Träumen behelligten.
    Kenherchepeschef atmete vor Erregung tief durch. Die Luft trug ihm den Geruch von schlammigem Wasser und feuchter, schwerer Erde zu, darüber lag, wie der letzte Hauch einer parfümierten Essenz auf der Perücke einer reichen Frau, ein leichter Duft aus Datteln und Salz, Öl und gebratenem Fisch, Weihrauch und Myrrhe – der Duft Thebens. Alles kam darauf an, dass er in dieser Nacht mutig blieb wie ein Löwe, aber auch vorsichtig wie eine Hyäne, dass er geschmeidig war und doch zielbewusst wie ein Günstling am Hofe des Pharaos, dass er sich genau an den Plan hielt,
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