Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Moorseelen

Moorseelen

Titel: Moorseelen
Autoren: Heike Eva Schmidt
Vom Netzwerk:
Verdammt, Feline, wieso kannst du dich nicht einfach mal
zusammenreißen?«, grollte er. Stirnrunzeln unter buschigen Brauen,
vorwurfsvoll-väterlicher Ton. An mir perlte das ab, wie Wasser am Gefieder der
überfressenen Enten im Stadtpark. Mein Vater fürchtete nämlich nur um seinen
guten Ruf in unserem ehrwürdigen Mietshaus.
    »Der Herr Tauber hat seine Göre ja nun überhaupt nicht
mehr im Griff, wie man hört. Jaja, und in einem Jahr raucht sie dann
Haschisch.«
    Solche nachbarschaftlichen Tratschereien hasste mein Vater
wie die Pest. Typischerweise kamen die meist von der alten Lehner aus der
Erdgeschosswohnung links. Seit ihr Mann vor drei Jahren das Zeitliche gesegnet
hatte – wahrscheinlich wollte er endlich mal irgendwo sein, wo er seine Ruhe
hatte, und wenn es die Hölle war – hockte sie den ganzen Vormittag am Fenster.
Knappe 50 Meter Straße und alles, was dort passierte, fest im Blick. Auf ein
Kissen gelehnt, konnte sie stundenlang so ausharren, ohne einen Muskel zu
bewegen, als wäre sie ausgestopft. Ab dem Nachmittag, wenn die ersten
Hausbewohner von der Schule oder der Arbeit nach Hause kamen, lauerte sie dann
hinter ihrer Wohnungstür. Bereit, beim kleinsten verdächtigen Geräusch, wie zum
Beispiel einer scheppernden Briefkastenklappe oder Schritten auf der Treppe, die
Tür aufzureißen. Nur um das ahnungslose Opfer mit falscher Freundlichkeit, unter
der sich die blanke Neugierde verbarg, festzunageln. Mein Vater konnte die
Lehner nicht leiden, gleichzeitig aber hatte er auch Schiss vor ihr.
Beziehungsweise vor ihrer scharfen Zunge. Als Alleinerziehender war er in ihren
Augen automatisch ein Hallodri. Und ich, die missratene Tochter, stand quasi
schon mit einem Bein im Drogensumpf.
    »Hallo – Erde an Feline! Würdest du dich vielleicht auch
mal zu der Sache äußern?«, störte die väterliche Stimme meine Gedanken. Ich
zuckte die Schultern. Der Spruch an die Adresse meines Lehrers war raus, die
Worte hatten mal wieder meinen Mund verlassen, ehe sich der Teil meines Gehirns,
in dem die Vernunft saß, hatte dazwischenschalten können. Dumm gelaufen. Mein
Vater war aber offenbar nicht bereit, »die Diskussion«, wie er es gerne nannte,
damit zu beenden.
    »Ich weiß wirklich nicht mehr, was ich noch tun soll,
Feline. Du kriegst offenbar nichts mehr auf die Reihe! Dabei hatte ich gehofft,
das Auslandsjahr in Amerika würde dir helfen, die Dinge … na ja, zu verarbeiten.
Aber was machst du?«
    »Ja, ich hab nach vier Monaten hingeschmissen, na und?«,
fauchte ich zurück. Das Gefühl, versagt zu haben, traf mich wie ein hämischer
Ellenbogenstoß, gleichzeitig stieg eine heiße Wut in mir hoch. Ich hatte x-mal
versucht, meinem Vater zu erklären, wie schrecklich Amerika gewesen war. Das
Land der unbegrenzten Möglichkeiten entpuppte sich für mich als Albtraum. Meine
Gastfamilie, die Cohens, lebten irgendwo in Texas. In einem Kaff zwischen
mehreren Highways, das bezeichnenderweise »Pampa« hieß. Der Name war Programm.
Eine Highschool, ein öder Park, viel Industrie. Damit hatte sich meine Hoffnung
zerschlagen, einen Platz in einer coolen Stadt wie New York, San Francisco oder
meinetwegen Boston zu ergattern. Texas war staubig, flach und im Sommer sah man
nur endlose, weite Felder, über deren goldgelbe Fläche Mähdrescher ihre Bahnen
zogen wie riesige Heuschrecken, die mit trägem Brummen alles in sich
hineinfraßen und nur noch harte, tote Stoppeln übrig ließen. Die einzige
Attraktion waren die Footballspiele am Wochenende. Danach wurde der Grill
angeschmissen und rohe Fleischstücke darauf geworfen, die so riesig waren, dass
ich oft mutmaßte, der ortsansässige Metzger hätte Flugsaurier statt Rind im
Angebot gehabt. Ich war Vegetarierin und erwog ernsthaft, mich ein Jahr lang nur
noch von Tütenchips zu ernähren.
    Auch in der Highschool war es nicht leichter gewesen:
Zuerst war ich das
»poor girl«
, das seine »Mom« verloren
hatte. Aber nachdem sich in der ersten Schulwoche herausstellte, dass ich kein
Interesse an Dates mit Jungs aus der Footballmannschaft hatte, an deren Ende
Knutschen quasi Pflicht war, rutschte ich rasch auf den letzten Platz der
Tabelle »beliebteste Austauschschülerin«. Nachdem ich mich auch noch weigerte,
als Cheerleader im ultrakurzen Mini mit kreischbunten Puscheln zu wedeln und auf
»Travestieshow in Charlottenburg« geschminkt vor ein paar Hundert
Highschool-Jungs herumzuhüpfen, wurde ich von der ganzen Klasse gedisst. Amanda
Cohen, Tochter der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher