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Moorseelen

Moorseelen

Titel: Moorseelen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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weiter, immer systematischer von sich abhängig gemacht«, sagte ich leise. Dazu kamen die karge Kost, der Schlafentzug und die Fastentage, die früher oder später jeden auslaugen mussten. In der Zwischenzeit wusste ich, auch das gehörte zu den gängigen Methoden, um Menschen gefügig zu machen. Wahrscheinlich war es Deva als ehemaliger Ärztin in der Psychiatrie leicht gefallen, die Jugendlichen entsprechend zu beeinflussen.
    Und doch war mir noch schleierhaft gewesen, welchen Gefallen Zeno daran gefunden hatte, Menschen von sich abhängig zu machen. Hatte er denn gar keine Gefühle? War er größenwahnsinnig? Oder war die Macht, die er über andere hatte, einfach nur Selbstzweck?
    Ich würde wohl damit leben müssen, auf diese Fragen keine Antworten zu bekommen. Es reichte schon, dass ich mir seit meiner Flucht aus der Oase zahllose Male meine eigene Blauäugigkeit vorgeworfen hatte. Es würde noch dauern, bis mein angeknackstes Herz und meine wundgeriebene Seele anfingen zu heilen.
    »Wir haben ja auch nicht gemerkt, in was Mia da hineingeraten ist«, sagte Frau Schlosser leise. »Du musst dir keine Vorwürfe machen, Feline.«
    Ich war erleichtert, dass sie mir nicht böse waren. Mein Blick fiel auf Jaron. Der Kleine schlummerte selig in seinem Kinderbettchen mit dem bunten Mobile. Ich war immer noch froh, dass der Kleine damals das ganze Drama mit der Polizei in der Oase im wahrsten Sinne des Wortes verschlafen hatte.
    »Anfangs hat er noch öfter nachts geweint, aber jetzt fühlt er sich richtig wohl bei uns«, lächelte Frau Schlosser.
    »Wenn wir schon unsere Tochter nicht retten konnten, dann werden wir wenigstens dafür sorgen, dass der Kleine nicht in einer Sekte aufwächst!«, ließ sich ihr Mann vernehmen. Seine entschlossene Miene zeigte, dass er alles tun würde, um seinen Enkel bei sich zu behalten, auch wenn Zeno der leibliche Vater war.
    »Ich drücke Ihnen die Daumen, dass Jaron bei Ihnen bleiben darf«, erklärte ich und stand auf. Kurz zögerte ich, dann aber zog ich das Mitbringsel, dessentwegen ich eigentlich gekommen war, aus der Tasche und hielt es Mias Mutter hin. »Hier. Das Goldfischarmband hat Mia selbst gebastelt. Ich habe es im Sommer im Park bei ihr gekauft. Vielleicht möchten Sie es ja behalten. Als Andenken. Und für Jaron. Damit er sieht, was für schönen Schmuck seine Mama machen konnte.«
    Frau Schlosser biss sich auf die Lippen und auch Mias Vater schluckte. »Danke, Feline«, sagte sie leise und nahm das Armbändchen so behutsam entgegen, als wäre es das Kostbarste, was sie je geschenkt bekommen hatte. Und für sie war es das wahrscheinlich auch.

EPILOG
    Ich sitze in meiner winzigen Küche, in die gerade ein kleiner Tisch und zwei Stühle passen. Ich habe den Raum vor ein paar Tagen pistaziengrün gestrichen. Mein Zimmer, in dem sich Schreibtisch, Schrank und Bett drängeln, leuchtet karmesinrot. Ein Hauch Farbgeruch hängt noch in der Luft. Die Wohnung ist klein, aber es ist mein Reich. Ich jobbe zweimal die Woche in einem Café, um wenigstens einen Teil der Miete selbst zu bezahlen. Den Rest steuert mein Vater bei. Ich habe ihn überzeugen können, mich kurz vor meinem siebzehnten Geburtstag von zu Hause ausziehen zu lassen. Seitdem verstehen wir uns besser. Obwohl ich seine Freundin immer noch nicht besonders mag, nenne ich sie in Gedanken nicht mehr »die Neue«, sondern Melanie. Trotzdem hoffe ich, dass ihr Baby ein Junge wird, sonst wird das arme Ding schon im Säuglingsalter Glitzerstrampler und Schmetterlings-Haarspangen tragen müssen.
    Gerade blinkt die Nummer meines Vaters auf dem Display, aber ich kann nicht ans Telefon, weil der Postbote ein Einschreiben bringt: In vier Wochen ist Urs’ Gerichtsverhandlung. Die gegen Zeno und seine Mutter steht noch aus. Möglich, dass beide mit einer Bewährungsstrafe davonkommen. Ihre Rechtsanwälte kämpfen mit allen Mitteln.
    Bei Urs’ Prozess werde ich als Zeugin aussagen müssen. Aryana ist immer noch in der Psychiatrie und nicht vernehmungsfähig. »Suizidgefährdet« lautet die Begründung. Auch Zeno wird wohl vor Gericht gehört werden. Ich blicke auf das nüchtern-offizielle Schreiben und die Buchstaben verschwimmen vor meinen Augen. Stattdessen sehe ich meinen Händen, die den Briefbogen halten, beim Zittern zu. Dann falte ich ihn energisch zusammen und stecke ihn zurück in den Umschlag, ehe ich ans Fenster trete und aus dem vierten Stock auf die Kronen der Bäume sehe, deren Blätter nun hart und braun sind und
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