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Moorseelen

Moorseelen

Titel: Moorseelen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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ihrer Stimme.
    »Sie hat das unschuldige Opfer gespielt. Mal wieder. Du weißt ja sicher inzwischen vom Kommissar die Wahrheit über diesen Autounfall«, fügte Herr Schlosser an, und ich nickte.
    Die angebliche Fahrerflucht, die Deva in den Rollstuhl gezwungen hatte, war erfunden. Zwar hatte es einen Unfall gegeben, aber die Brems- und Lackspuren hatten keine Hinweise auf die Beteiligung eines anderen Wagens ergeben. Dafür zeigte ein Alkoholtest 1,2 Promille, die Deva im Blut hatte.
    Mich schockten diese Fakten kaum noch. Ihre Geschichte war nur ein Glied in der langen Kette von Lügen, die sie allen aufgetischt hatte.
    »Sie hat geschworen, erst nach ihrem Dienst in der Klinik was getrunken zu haben. Daher wurde ihr auch die Approbation nicht entzogen«, erläuterte Wiesmüller.
    Trotzdem kehrte Deva nicht mehr an ihren Arbeitsplatz in der Klinik zurück. Vielleicht konnte sie tatsächlich nicht mehr arbeiten, oder sie wollte den Tuscheleien von Kollegen und Schwestern entgehen. Sie hatte als Ärztin nicht schlecht verdient und so zog sie sich auf den alten Gutshof im Spreewald zurück, den ihre Großeltern einst bewohnt hatten und der seit der Wende leerstand. Doch trotz Zenos Mithilfe musste sie erkennen, dass es unmöglich war, die vielen Hektar alleine zu bewirtschaften.
    »Da kamen Mutter und Sohn auf die Idee, das Hilfsprojekt ›Oase‹ für junge Erwachsene aus schwierigen Verhältnissen ins Leben zu rufen. Auf diese Weise konnten sie sich billige Arbeitskräfte auf den Hof holen«, hatte Wiesmüller erklärt.
    Dank ihm wusste ich inzwischen, dass Zeno sein Sozialpädagogik- und später das Psychologiestudium abgebrochen und eine Zeit lang als Surflehrer und Clubanimateur in Spanien und Südamerika gejobbt hatte.
    Nach dem Autounfall seiner Mutter kam er nach Deutschland zurück und zog mit ihr zusammen die Kommune auf.
    Wie Deva und Zeno es angestellt hatten, Lukas, Kali, Aryana und die anderen anzuwerben, blieb im Dunkeln. Zwar hatte Zeno nicht bestritten, Urs von dem Sprung von der Brücke abgehalten zu haben, doch sowohl er als auch Deva behaupteten steif und fest, alle Kommunenbewohner hätten von sich aus den Weg zu ihnen gefunden.
    Und natürlich würden beide niemals zugeben, auch nur einen von ihnen beeinflusst oder manipuliert zu haben. Entweder, weil sie selbst zu verblendet waren, oder – was wahrscheinlicher war – weil sie bis zuletzt versuchen würden, ihren Kopf aus der Schlinge zu ziehen.
    »Das muss man sich mal vorstellen! Die haben sogar noch Fördergelder für ihre ›Einrichtung‹ bezogen, die den vernachlässigten Jugendlichen zugutekommen sollten«, stieß Mias Vater verbittert hervor.
    Da Deva weiterhin als Ärztin praktizieren durfte, wirkte alles bestimmt äußerst seriös.
    »Natürlich kamen anfangs irgendwelche Behördenleute in die Einsamkeit des Spreewaldes, um nach dem Rechten zu sehen«, sagte Mias Mutter.
    Ich nickte, weil ich mir vorstellen konnte, welchen Eindruck ein Außenstehender von der Oase haben musste: eine glückliche Gemeinschaft, die ihre Eigenerzeugnisse gewinnbringend verkaufte. Aus den labilen Jugendlichen waren fröhliche, tatkräftige Mitglieder der Gesellschaft geworden.
    Dennoch hatte ich lange nicht verstanden, warum Deva und Zeno nicht sofort die Polizei informiert hatten, als sie von Mias Tod erfuhren.
    »Sie hatten Angst, dass die Oase geschlossen würde und die Bewohner auf der Straße stünden«, hatte Wiesmüller Devas Begründung zitiert, warum sie geholfen hatten, das Verbrechen zu vertuschen.
    Vielleicht gab es noch eine andere Erklärung. Die beiden hatten sich mit der Oase eine eigene Welt, ja, einen eigenen kleinen Staat geschaffen. Dass Doris Bergmann ihren alten Namen abgelegt und sich fortan Deva genannt hatte, war der erste Schritt, sich ein neues Leben aufzubauen. Mit einer neuen Familie, die sie sich aus vernachlässigten, teils psychisch labilen Jugendlichen zusammenbastelte, dachte ich grimmig. Deva sonnte sich wahrscheinlich in dem Gefühl, gebraucht zu werden. Mit einem Schlag war sie die Mutter von zwanzig »Kindern« geworden.
    Als ich Frau Schlosser das sagte, wanderte ihr Blick unwillkürlich zu der leeren Stelle, wo früher das Familienfoto gehangen hatte. »Damit sie nicht alleine ist, hat sie uns die Tochter weggenommen«, sagte sie und ich hörte die Bitterkeit in ihrer Stimme.
    »Sie und Zeno haben wohl schnell Geschmack an der Macht gefunden, die sie plötzlich hatten. Also haben sie die Kommunenbewohner immer
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