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Moorseelen

Moorseelen

Titel: Moorseelen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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vorgeworfen«, ratterte er geübt herunter. Und fügte zu Zeno gewandt hinzu: »Und Ihnen droht wahrscheinlich noch eine Anzeige wegen Körperverletzung und Freiheitsberaubung, weil wir Nick Brandstätter gefesselt im Kofferraum Ihres Autos gefunden haben. Sie können dazu aber gerne einen Anwalt konsultieren.«
    Devas Gesicht verzerrte sich. Ich hielt es zuerst für Wut, dann aber sah ich die Angst in ihren Augen. »Aber sie müssen mich nach Hause lassen! Jaron braucht mich«, rief sie mit sich überschlagender Stimme und stemmte ihre Arme auf die Lehnen ihres Rollstuhls, als wollte sie sich daraus erheben und einfach loslaufen.
    »Mutter, bitte beruhige dich«, sagte Zeno, aber ich erkannte, dass auch seine Selbstsicherheit ganz schön angeknackst zu sein schien. Seine Wangen wirkten eingefallen, er war unrasiert und der leichte Bartschatten ließ sein Gesicht noch schmaler erscheinen. Deva rutschte unruhig hin und her und rang die Hände. Der Polizist sah sie an und ein Schatten von Mitleid glitt über sein Gesicht.
    »Der Junge wurde vor einer halben Stunde vom Jugendamt abgeholt. Da die Familienverhältnisse und vor allem die Vaterschaft noch geklärt werden müssen«, er warf Zeno einen kurzen Blick zu, ehe er fortfuhr, »hat man den Kleinen zu seinen Großeltern gebracht. Mütterlicherseits«, setzte Wiesmüller überflüssigerweise hinzu.
    Also war Jaron nun bei Mias Eltern. Die Leute, die ihn nach der Geburt nicht mal hatten sehen wollen, dachte ich bitter.
    Da zerriss plötzlich ein Schrei die Stille. Er klang wie der Laut eines verwundeten Tieres und ich zuckte heftig zusammen. Dann wurde mir klar, dass es Deva war, die da schrie. Sofort war Zeno an ihrer Seite und nahm sie beruhigend in den Arm. Doch sie wand sich aus seinem Griff und streckte die Hände flehend nach Wiesmüller aus.
    »Nein! Sie dürfen ihn mir nicht wegnehmen! Sie können ihn doch nicht einfach aus seinem Zuhause herausreißen! Da draußen«, sie stockte und schluchzte trocken auf, »dort werden sie ihn verderben«, flüsterte sie. »Die Welt ist schlecht. Sie wird seine Seele zerstören. Nur bei uns in der Oase kann er frei und unbelastet aufwachsen. Bitte – Sie müssen ihn mir zurückgeben!«
    Wiesmüller hatte angesichts ihrer Verzweiflung die Lippen zusammengepresst, aber er blieb eisern. »Die Mutter von Mia Schlosser hat deren Schwangerschaft bestätigt. Sie hatte bis dahin noch losen Kontakt zu ihrer Tochter, doch kurz vor der Geburt hat Mia dann die Verbindung endgültig abgebrochen. Trotzdem sind die Schlossers überzeugt, bei Jaron handle es sich um ihren Enkel. Bis wir Ihren Fall geklärt haben, ist der Kleine dort gut aufgehoben«, sagte der Polizeibeamte.
    »Nein«, schrie Deva erneut und jetzt stemmte sie sich tatsächlich so heftig in ihrem Rollstuhl hoch, dass sie fast vornübergekippt und zu Boden gestürzt wäre, hätte Zeno sie nicht im letzten Moment aufgefangen. Doch sie tobte weiter. »Jaron gehört nicht dorthin! Er gehört zu mir! Nur ich kann ihm das Leben bieten, das er braucht!«
    Wiesmüller wandte sich an seine Kollegin. »Holen Sie einen Arzt«, bestimmte er. »Die Frau braucht ein Beruhigungsmittel!«
    Obwohl ich es schrecklich fand, wie Deva litt, und ich mir bei ihren kummervollen Schreien am liebsten die Ohren zugehalten hätte, wurde mir bewusst, wie absurd die Situation war. Sie, die mich mit Beruhigungsmitteln gefügig gemacht hatte, als ich mich den Vorstellungen der Oase widersetzte, bekam nun selbst eines. Als ich den Kopf hob, traf mein Blick den von Zeno. Sein Gesicht war eine starre Maske und eine einzige Anklage an mich, die Überläuferin, die desertiert war und die Oase ausgeliefert hatte. Ob es an meiner Erschöpfung lag oder daran, dass ich in dieser Nacht alle Illusionen, was seine Gefühle für mich betraf, verloren hatte? Ich wusste es nicht. Ich staunte nur, dass ich weder Kummer noch Zorn ihm gegenüber empfand. Mein Inneres war tot und verkohlt. Doch ich ahnte, dass der schwarze, klebrige Ruß von Zenos Verrat mein Herz noch eine ganze Weile überziehen würde. In diesem Moment vernahm ich vertraute Schritte, die sich näherten. Ich drehte mich um, und da stand mein Vater. Sein Gesicht drückte innerhalb von Sekunden Erleichterung, Sorge und Freude aus. Ich stand auf und lächelte ihn an.
    »Schön, dass du da bist, Papa«, sagte ich. Und in diesem Moment meinte ich es genau so.

Kapitel 17
    Ein Herbstblumenkranz hing an der Tür des kleinen Einfamilienhäuschens. »Margit, Stefan
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