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Moorseelen

Moorseelen

Titel: Moorseelen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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ich schreien mögen. Was ein Beweis hätte sein sollen, entpuppte sich als heiße Luft. Das bedeutete, wenn Aryana schwieg und Urs bei seinem Geständnis blieb, würden Zeno und Deva in Kürze unbehelligt aus dem Polizeirevier herausspazieren. In der Oase würden die Bewohner ihre Rückkehr frenetisch feiern und Zeno hätte seinen Status als Superguru prima zementiert.
    »Chef, schauen Sie mal, es geht noch weiter!« Die Stimme des Beamten riss mich aus meinen düsteren Gedanken. Ich hob den Kopf. Die Aufnahme zeigte Zeno, der sich der Linse näherte. Er streckte die Hand aus – dann aber fuhr er plötzlich herum. »Was ist denn?«, fuhr er jemanden an, den man nicht sehen konnte, weil er nicht im Winkel der Kamera stand.
    »Du musst sofort kommen«, ertönte eine dunkle, weibliche Stimme, die ich als die von Deva erkannte. »Feline ist völlig hysterisch. Sie war am Moorsee und hat Mias Leiche gefunden. Du musst sie beruhigen. Und dann dafür sorgen, dass Mia verschwindet. Sonst ist hier bald die Hölle los!«
    Zeno gab keine Antwort, doch gleich darauf wurde der Bildschirm dunkel. Offenbar hatte er die Kamera ausgeschaltet.
    Ein paar Sekunden lang war es im nüchternen Büro des Polizeireviers ganz still. Niemand sagte ein Wort. Nur an der Art, wie Wiesmüller mit dem Zeigefinger heftig über seine Nasenwurzel strich, erkannte ich, dass er die Sache wohl erst einmal verdauen musste. Auch ich war erschüttert. Deva hatte also auch längst Bescheid gewusst.
    »Das ändert die Sachlage ja nun deutlich«, sagte Wiesmüller endlich.
    Obwohl ich weiterhin ein mulmiges Gefühl hatte, weil Urs eine Tat auf sich nehmen wollte, die er nicht begangen hatte, war ich erleichtert, dass Zeno und wahrscheinlich auch seine Mutter nicht ungeschoren davonkommen würden.
    Wiesmüllers Blick fiel auf mich. »Dein Part ist hiermit beendet. Lass dir von einer Kollegin einen Tee oder was zu essen geben, du musst ja völlig fertig sein«, sagte der Polizeichef und sein Tonfall war deutlich freundlicher als noch ein paar Stunden zuvor. Und während die Sonne aufging und ihre Strahlen über die Baumspitzen des Spreewaldes schickte, rief ich endlich meinen Vater an.
    Danach hockte ich auf der harten Bank im tristen Flur des Polizeireviers. Während ich auf den zerkratzten, matt-grüngrauen Linoleumboden starrte, der dringend hätte erneuert werden müssen, dachte ich an meine Mutter. Beim Gedanken an sie zog sich mein Herz wie bei einem Biss in eine Zitrone zusammen. Endlich verbot mir niemand mehr meine Trauer, nicht einmal ich selbst. Ich wünschte nur, sie wäre es, die mich hier herausholte. Denn dass mein Vater mich erst mal rundmachen würde, war so sicher wie das Amen in der Kirche. Bei meiner Mutter wäre es anders gewesen, dachte ich. Sie hätte nicht gleich losgepoltert, sondern mich erst mal in den Arm genommen. Und dann gefragt, was passiert war – und wieso ich abgehauen sei. Meinen Vater interessierte das »warum« garantiert einen Dreck. Ich hatte mich über seinen Hausarrest hinweggesetzt und ihm und seiner Neuen das Leben schwergemacht. Punkt. Im Geiste hörte ich bereits die Strafpredigt, die er vom Stapel lassen würde, sobald er einen Fuß in den Flur des Polizeireviers gesetzt hätte. Und plötzlich ergriff mich eine Riesenwut. Hätte er nicht gleich seine Neue angeschleppt, wäre es überhaupt nicht zum Krach zwischen uns gekommen. Und ich hätte mich zu Hause nicht derart unwohl gefühlt, dass ich einfach abhauen musste. Dann wäre ich nicht in die Oase gekommen und hätte Zeno niemals kennengelernt. Und wäre nicht auf ihn reingefallen …
    »Feline«, hörte ich da auf einmal die Stimme meiner Mutter. Zwar nur in meinem Kopf, aber mir war, als würde sie in dem Moment tatsächlich neben mir sitzen. Fast konnte ich den schwachen Duft ihres Parfums riechen. Ich schloss die Augen. Im Geiste sah ich ihr leichtes Lächeln vor mir und dass sie den Kopf schüttelte.
    »Ich weiß«, murmelte ich, »ist ein bisschen zu bequem, alles auf Papa zu schieben.« Energisch fuhr ich mir mit beiden Händen übers Gesicht. Als ich wieder aufblickte, sah ich Zeno den Gang entlangschreiten. Er bewegte sich mit der üblichen eleganten Lässigkeit, obwohl er von zwei Beamten eskortiert wurde. Anscheinend hatte er keine Ahnung, wieso ihn Wiesmüller in sein Büro rufen ließ, denn er trug nach wie vor eine überhebliche Miene zur Schau. Als er meiner ansichtig wurde, verzog er spöttisch den Mund.
    »Na, immer noch hier? Du hoffst wohl,
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