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Moorseelen

Moorseelen

Titel: Moorseelen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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wusste, was sie meinte. Mir ging es genauso.
    »Wenn wir damals schon Bescheid gewusst hätten, dann hätten wir vielleicht anders reagiert, als Mia noch einmal bei uns aufgetaucht ist. Da war sie schon im achten Monat. Sie wollte Geld. Als wir gesagt haben, wir möchten erst mal in Ruhe mit ihr reden, ist sie wortlos wieder gegangen.«
    Frau Schlosser starrte auf ihre Finger, deren Knöchel weiß waren, so fest hatte sie die Hände ineinander verschränkt. In ihrer Stimme kratzten Tränen. »Sie war völlig verändert. Ich habe meine Tochter fast nicht mehr wiedererkannt«, fügte sie kaum hörbar hinzu.
    Ich nickte. Unwillkürlich erinnerte ich mich, wie ich nach der denkwürdigen Nacht auf dem Polizeirevier im Spreewald neben meinem Vater im Auto gesessen hatte, heilfroh, möglichst viele Kilometer zwischen die Oase und mich zu bringen. Dennoch konnte ich in meinem alten Leben auch nicht mehr richtig Fuß fassen. Alleine die schwangere Melanie, die schon aufgeregt anfing zu plappern, noch ehe die Wohnungstür zugefallen war, ging mir sofort wieder auf die Nerven. Obwohl sie es gut meinte und mich auf ihre kleinmädchenhafte Art betüddelte, als wäre ich eingesperrt und gefoltert worden. Auch die Fragen meines Vaters waren mir zu viel, auch wenn er sich jegliche Vorwürfe verkniffen hatte. Dazu kamen die Albträume, die wie ein Endlosfilm Nacht für Nacht von Neuem abliefen: Lukas und ich in der Küche. Die hellen runden Male auf seinem Arm. Stumme Zeugen von einem Elternhaus, in dem nur Gewalt war. Urs, der auf einer Brücke steht, bis Zeno auftaucht und ihn in die Oase mitnimmt. Aryana, die weinend beobachtet, wie ihr kleiner Bruder von zwei Jugendamtsleuten in ein Auto verfrachtet wird, das ihn irgendwohin bringt, weit weg von ihr. Und immer wieder Mias Gesicht im See. Manchmal träumte ich auch, ich wäre diejenige, die im Moorgrund des Sees feststeckte und langsam starb. So wie durch Zenos Einfluss beinahe mein Ich, meine Persönlichkeit und meine Seele erstickt worden wären.
    »Die Zeit danach war schrecklich«, sagte ich leise und sah Frau Schlosser an. »Ich hab mich tagelang in meinem Zimmer verbarrikadiert und bin jede Nacht schreiend aus dem Schlaf hochgefahren.«
    Mias Mutter schenkte mir Tee nach. In diesem Moment gähnte Jaron und begann zu quengeln.
    »Er braucht seinen Nachmittagsschlaf«, erklärte Frau Schlosser und trug den Kleinen aus dem Zimmer. Ich folgte ihr. Sie öffnete die Tür zu einem Raum, dessen Wände vanillegelb leuchteten und ich erhaschte einen Blick auf einen weichen Berberteppich und ein gemütliches, dunkelrotes Samtsofa. Vor dem Fenster wehten helle Musselinvorhänge und verbreiteten eine Kuschelatmosphäre. »Jaron schläft in Mias Zimmer. Wir haben dort noch nichts verändert, seit …« Sie stockte.
    Ich sah mich um. Über einem kleinen Schreibtisch hing das Foto einer lachenden Mia. Ihre hellblonden Wuschelhaare flogen, als hätte sie soeben den Kopf zum Betrachter gedreht. Daneben zierte ein etwas helleres Viereck die Wand. Ihre Mutter bemerkte meinen Blick. »Dort hing ein Bild von Mia mit uns beiden. Kurz vor ihrem Verschwinden hat sie es von der Wand genommen und in einer Schublade verstaut. Wir haben nicht mehr in ihr Leben gepasst«, sagte sie traurig.
    »Ich dachte, es wäre umgekehrt gewesen«, erwiderte ich und erzählte Frau Schlosser die Version, die ich damals von Mia in der Oase gehört hatte. Nachdem ich geendet hatte, standen ihr die Tränen in den Augen.
    »Mia hat schlimme Geschichten über uns verbreitet«, sagte Frau Schlosser. »Aber wir haben sie nicht rausgeworfen. Wir hätten uns gefreut, wenn sie Jaron bei uns großgezogen hätte. Wir hatten nur keine Gelegenheit mehr, ihr das zu sagen.«
    Ihre Trauer krampfte mir kurz das Herz zusammen. Wusste ich doch nur zu gut, wie es sich anfühlte, wenn man jemandem noch so viel zu sagen gehabt hätte.
    »Mia war völlig von Zeno und der Oase vereinnahmt«, sagte ich leise.
    Ich wollte Mia verteidigen und gleichzeitig den Schmerz ihrer Mutter lindern. Frau Schlosser wischte sich über die Augen.
    »Ich war auch ziemlich aus der Bahn geworfen, als ich Zeno traf«, fuhr ich fort. »Das hat er gewittert und mich in die Oase gelockt.«
    Ich sprach nicht weiter, denn sonst hätte ich zugeben müssen, dass Zeno es geschafft hatte, indem er mir immer wieder suggerierte, dass ich für ihn etwas Besonderes war, jemand, in den er sich sogar verlieben konnte.
    Es hatte wehgetan zu erkennen, dass ich für Zeno nur Mittel
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