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Moorseelen

Moorseelen

Titel: Moorseelen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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hätte er
meine Gedanken gelesen. Trotzdem brauchte ich einen Moment, um zu kapieren, wen
er mit Melanie meinte. Für mich war sie nur »die Neue«. Ich weigerte mich seit
ihrem Einzug, sie mit Namen anzusprechen. Eigentlich sprach ich sie überhaupt
nicht an. Auf die ungeschickten Annäherungs- und Gesprächsversuche ihrerseits
reagierte ich allerhöchstens einsilbig. Sollte »die Neue« ruhig merken, wie
wenig willkommen sie mir war. Mein Vater hatte sie mir vor die Nase gesetzt,
aber das hieß ja noch lange nicht, dass ich es gut finden musste. Genau das
sagte ich ihm auch. Daraufhin seufzte er resigniert. Wie ein Zirkusdompteur,
dessen ungezogener Pudel einfach nicht durch den Reifen springen wollte und ihm
die ganze Nummer versaute.
    »Ich erwarte von dir in Zukunft mehr Kooperation, mein
Fräulein. Sowohl zu Hause als auch in der Schule!«
    Ich verdrehte innerlich die Augen. So hochgestochen redete
er immer, wenn ich nicht nach seiner Pfeife tanzte. Als wäre er ein Professor
aus einem dieser alten Schwarz-Weiß-Schinken – »Die Feuerzangenbowle« oder so
ähnlich. Fast musste ich lachen, weil ich ihn mir mit Spitzbart und einem Stock
mit Silberknauf vorstellte.
    »Das Grinsen wird dir schon vergehen«, sagte er, und ich
konnte an seiner Stimme hören, dass er langsam sauer wurde. »Du hast erst mal
zwei Wochen Hausarrest«, bestimmte er.
    »Was?«, schrie ich auf. Er wollte mich einsperren? Das
konnte ja wohl nicht wahr sein! »Hallo, ich werde in drei Monaten siebzehn«,
empörte ich mich.
    »Alt genug, um deinen Lehrern mit etwas Respekt zu
begegnen. Und mir auch«, erwiderte er ungerührt. »Deswegen gehst du die nächsten
zwei Wochen abends und am Wochenende nicht mehr weg und denkst vielleicht mal
drüber nach, wie man sich mit beinahe siebzehn benimmt. So. Ende der
Diskussion.«
    Ich drehte mich wortlos um und verschwand in meinem
Zimmer. Erst als ich mich vergewissert hatte, dass die Tür geschlossen war,
sprach ich aus, was ich von ihm und seinen Erziehungsmethoden hielt: »Fuck
off!«

Kapitel 2
    Ich knallte meinen Rucksack aufs Pult, da bemerkte ich Nick, der zu mir rübersah und grinste.
    »Kein guter Morgen heute?«, fragte er und pustete ein paar seiner widerspenstigen, dunkelbraunen Haare weg, die ihm dauernd in die Stirn fielen.
    »Nee«, antwortete ich nur kurz angebunden.
    Ich hatte keine Lust zu reden. Mit niemandem aus meiner neuen Klasse, auch – oder gerade – nicht mit Nick. Dabei sah er eigentlich ganz gut aus mit seinen kaffeebohnenfarbenen Haaren und den überraschend blauen Augen. Außerdem war er nett. Vor allem zu mir. Und genau das war das Problem: Ich wollte niemanden, der nett zu mir war und sich für mich interessierte. Ich redete mir ein, dass ich noch an der Trennung von Timo zu knabbern hatte. Obwohl ich diejenige gewesen war, die Schluss gemacht hatte. Nach dem Tod meiner Mutter konnte ich Timo einfach nicht mehr ertragen. Ihn und seine blöden Sprüche, die mich »aufmuntern« sollten.
    »Das geht vorbei, wirst schon sehen, Fine.« Oder: »Die Zeit heilt alle Wunden, sagt man doch so. Bei dir ist es sicher auch bald so weit.«
    Er kapierte nicht, wieso noch Monate später ein bestimmter Song oder der Geruch von Schokoladenpudding genügten, um mich in Tränen ausbrechen zu lassen, weil mich diese Dinge an meine Mutter erinnerten. Irgendwann hörte ich einfach auf, ihn anzurufen, und löschte kommentarlos seine betont lustig-coolen SMS auf meinem Smartphone.
    Seitdem drehten wir beide den Kopf weg, wenn wir uns im Schulflur oder auf dem Pausenhof sahen. Um ehrlich zu sein, heulte ich Timo keine Träne nach. Er war nur ein bequemer Vorwand, nicht darüber nachzugrübeln, wieso mir Nicks schüchterne Kontaktversuche Unbehagen einflößten, statt mir zu schmeicheln. Als er mich fragte, ob ich Lust hätte, mit zu einem Open-Air-Konzert zu kommen, lehnte ich unter einem Vorwand ab. Am nächsten Tag lag eine selbst gebrannte CD mit den Songs der Vorgruppe auf meinem Platz.
    »Ich fand die Songs von denen besser als die Hauptband«, lautete Nicks lockerer Kommentar.
    Ich brachte nur ein staubtrockenes »Danke« raus, steckte die CD hastig in meine Tasche und flüchtete so überstürzt aus dem Klassenzimmer, als wäre
ich
der Rockstar, den eine Horde Groupies verfolgte. Zum Glück war in diesem Moment der Pausengong ertönt. Kurz darauf hatte Nick noch mal auf Facebook nachgefragt, ob ich schon mal in die Songs reingehört hätte, doch ich war ihm eine Antwort schuldig
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