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Moorseelen

Moorseelen

Titel: Moorseelen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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eins auszuwischen. Jedenfalls warf ich den Kopf in den Nacken und guckte von oben herab auf Nick, der zwar gleich groß war, aber unter meinem Blick zu schrumpfen schien:
    »Hast du mich vielleicht sagen hören, dass mich das Verbot kratzt?«
    Um sechs Uhr abends war die Luft im Park noch so warm wie am Nachmittag. Die Junisonne knallte immer noch vom Himmel und die Temperatur, die bereits mittags die 30-Grad-Marke geknackt hatte, war kaum gesunken. Rotgesichtige Kreuzberger Rentner lümmelten mit einer Flasche Bier in ihren beigen Polyestershorts und Rippunterhemden, die über ihren Bäuchen bedenklich spannten, in mitgebrachten Liegestühlen. Daneben hockten ihre schwitzenden Frauen unter winzigen Sonnenschirmen, sodass man zwischen Rocksaum und den orthopädischen Sandalen ihre Nylonkniestrümpfe sah, die in das weiße Fleisch knapp unterhalb der dicken Knie schnitten. Mädchen in langen Hippieröcken und Bikinioberteil spielten Badminton mit Jungs, die in lässigen Surfershorts ihre freien Oberkörper präsentierten. Viele trugen ihre Tattoos zur Schau. Und zwischen ihnen wackelten nackte Kleinkinder umher, die mit ihren dünnen Zahnstocherbeinchen unterm dick gepolsterten Windelpo aussahen wie lebende Kastanienmännchen. Ich blieb stehen und genoss den Anblick. Mir fielen die bunten Kinderbücher ein, in denen es um das Leben in der Stadt ging. Die hatte ich früher mehr als alles andere geliebt, weil es auf den Bildern immer und immer noch etwas zu entdecken gab. Wie ein schnuppernder Hund sog ich gierig die Gerüche des Parks ein: eine Spur frisch gemähten Grases, das in der Sonne trocknet, garniert mit einem Hauch Kokossonnenmilch. Und über allem schwebte der Duft von Würstchen, die auf den zahlreichen Grills brutzelten. Ich schloss die Augen und tauchte mit einem Gedankensprung in dieses Sommerabendgefühl ein. Den Gedanken, was wohl mein Vater sagen würde, wenn er vom Büro nach Hause kam und mein Zimmer leer vorfand, schob ich mit aller Macht beiseite. Ich wollte mir den Abend nicht verderben lassen. Plötzlich fiel mir auf, dass ich mich seit dem Tod meiner Mutter zum ersten Mal wieder richtig wohlfühlte. Gleich darauf zuckte ein greller Blitz schlechten Gewissens durch meinen Kopf. Schuldbewusst riss ich die Augen auf und drehte mich um. Was tat ich hier unter all den Leuten, die fröhlich waren und keinen Kummer hatten?
    »Mann, das war ja Timing. Hi, Feline«, sagte eine bekannte Stimme. Nick war in dieser Sekunde hinter mir aufgetaucht und grinste mich an.
    »Hi«, erwiderte ich etwas gequält. Es war ein Fehler gewesen, hierherzukommen. Und ein noch größerer, mich mit Nick zu verabreden. Sein sonniges Gemüt führte mir nur vor Augen, in welche Gewitterziege ich mich verwandelt hatte.
    »Hast du Hunger? Ich kenne hier den besten Falafel-Stand jenseits von Klein-Istanbul«, funkte er in meine Grübelei.
    »Du, ganz ehrlich, ich würde lieber …«, setzte ich an, doch Nick unterbrach mich.
    »Guck mal, das ist ja abgefahren«, bemerkte er und deutete mit einer Kopfbewegung auf eine Gruppe junger Leute, die sich ein paar Meter neben uns niedergelassen hatten. Auf den ersten Blick unterschied sich das halbe Dutzend Jungs und Mädchen nicht von den übrigen Jugendlichen im Park. Bunte Hippiekleider, lässige Baggyhosen, Flip-Flops. Und doch hoben sie sich von den übrigen Leuten ab. Ein Strahlenkranz guter Laune schien sie zu umgeben. Alle lachten und scherzten miteinander, zwei männliche Cliquenmitglieder umarmten schulterklopfend einen Dritten, der mit einer hübschen Blonden gerade dazustieß. Es herrschte eine Atmosphäre der Herzlichkeit, alle wirkten, als wären sie die besten Freunde. Das neu hinzugekommene Pärchen hatte jeweils eine Bongo dabei. Jetzt setzten sie sich zu den anderen und begannen, einen schnellen, mitreißenden Rhythmus zu trommeln. Zwei Mädchen aus der Gruppe begannen zu klatschen, während ein Junge mit wilden Rastalocken aus dem Nichts plötzlich zwei Rasseln hervorzog, die er gekonnt schüttelte. Ich starrte die Clique an und wagte kaum zu atmen. Mit ihren wenigen, einfachen Instrumenten webten sie einen magischen Klangteppich, der sich in die Luft erhob und über den Park zu fliegen schien. Tatsächlich hoben die Besucher nach und nach die Köpfe und lauschten verzaubert dem Getrommel. Nachdem die Gruppe ihre Performance beendet hatte, applaudierte der halbe Park. Die Trommler lachten und winkten, während zwei der Mädchen nun eine wild gemusterte Decke ausrollten,
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