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Moorseelen

Moorseelen

Titel: Moorseelen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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Chinos mit dem etwas ausgewaschenen schwarzen Top vorkam wie ein räudiger Straßenköter neben einem reinrassigen Collie. Der Junge – oder eigentlich Mann, denn er war sicher schon über zwanzig – blickte derweil amüsiert von seinen geschätzten 1,85 auf mich herunter. Er hatte glatte, dunkelblonde Haare, die er zu einem Zopf gebunden trug, was bei ihm aber nicht nach Vorstadt-Cabriofahrer, sondern einfach cool aussah. Es betonte seine klar geschnittenen Gesichtszüge mit dem markanten Kinn. Am faszinierendsten waren allerdings seine Augen: Sie waren nicht, wie man bei den blonden Haaren erwartet hätte, blau oder grau, sondern von einem hellen Braun. Schön geschwungene Lippen, nicht zu schmal, nicht zu wulstig, verzogen sich zu einem Grinsen und entblößten eine weiße Zahnreihe, mit einer winzigen Lücke zwischen den beiden Schneidezähnen, was ihm etwas Wildes und gleichzeitig Schelmisches verlieh. Ich konnte ihn nur stumm anstarren – passend zum Goldfisch an meinem Handgelenk. Mein Sprachzentrum schien sich irgendwo zwischen den Parkbänken versteckt zu haben – ich hatte in dem Moment jedenfalls auf Gedanken und Worte keinen Zugriff. Daher versuchte ich es mit einem Lächeln, das mir aber wahrscheinlich ziemlich verrutschte. So etwas passierte mir immer, wenn ich verlegen war. Ich war den Umgang mit solchen Eyecatchern einfach nicht gewohnt. In meiner Klasse sahen die Jungs eher Justin Bieber ähnlich: Wuschelhaare und Babyface. Der hier wirkte, als hätte er die Schule längst hinter sich. Drittes oder viertes Semester an der Uni, schätzte ich. Vorausgesetzt er studierte überhaupt. Eigentlich wirkte er eher so, als würde er schon am Morgen sein Surfbrett unter den Arm klemmen und bis zum Sonnenuntergang die Wellen herausfordern, um nur die höchsten zu reiten, mit ausgestreckten Armen. Ein Krieger des Meeres, der …
    »Entschuldige, war wohl ein blöder Spruch. Das Armband steht dir gut«, riss seine Stimme mich aus meinem Tagtraum.
    »Ähm, ja. Danke, das meinte sie auch«, fand ich meine Stimme endlich wieder und deutete auf das Mädchen mit der hellblonden Krause, das lächelnd dasaß und von mir zu dem Unbekannten sah.
    »Tja, Mia hat den Profiblick. Sie macht den Schmuck nämlich selbst«, sagte der.
    »Ach, ihr kennt euch«, sagte ich und spürte gleichzeitig den spitzen Nadelstich der Enttäuschung in meinem Herzen. Das Mädchen war zwar keine Modelschönheit, aber mit ihren hellen Locken und den blauen Puppenaugen hatte sie garantiert früher an Weihnachten beim Krippenspiel den Engel der Verkündigung gemimt. Es waren immer diese überirdisch wirkenden Mädchentypen, die für diese Rolle besetzt wurden. Und ihr strahlendes Lachen ließ sie doppelt anziehend wirken. Wahrscheinlich waren die beiden zusammen. Wieso kriegten immer die anderen Mädchen solche Typen ab? Offenbar hatte er meine Gedanken gelesen, denn der junge Mann grinste und machte eine Kopfbewegung zu der ganzen Clique hin.
    »Wir kennen uns alle. Wir wohnen nämlich zusammen«, sagte er. »Eine große glückliche WG «, fügte er hinzu, während sein taxierender Blick mich traf. Mit einem geheimen Code hatte er mir die Antwort auf meine unausgesprochene Frage gegeben. Zu meinem Erstaunen merkte ich, dass mich Erleichterung durchflutete, obwohl ich mich gleichzeitig innerlich als alberne Pute beschimpfte. Der Typ sah gut aus, na und? Ich hob den Blick, fest entschlossen, mich nicht weiter von ihm beeindrucken zu lassen. Er lachte mich an und dann zwinkerte er kurz.
Komm schon, ich habe dich durchschaut, aber keine Sorge – ich verpetze dich nicht
, sagte dieses Zwinkern, und ich spürte ärgerlich, dass ich rot wurde. Ehe ich aber noch überlegen konnte, wie ich aus der Nummer wieder rauskam, sagte er: »Ich bin übrigens Zeno.«
    »Hi. Feline«, würgte ich hervor.
    »Und ich bin Nick«, ertönte die Stimme, für die ich in diesem Augenblick am wenigsten Nerven hatte. Prompt setzte mein Mitschüler noch eins drauf. »Zeno – der Name klingt ja merkwürdig. Ist das ’ne Abkürzung?« Zeno lächelte belustigt, so als betrachtete er einen kleinen Hund, der sich in sein Hosenbein verbissen hatte. »Der Name kommt aus dem Griechischen. Und Nick? Ist das eine Abkürzung für ›Nicht-immer-komisch‹?«, gab er schlagfertig zurück.
    Damit hatte Nick wohl nicht gerechnet, ihm klappte jedenfalls der Mund auf. Ich sah weg, um nicht loszulachen, und begegnete Mias Blick. Ihre Augen funkelten und ich bemerkte, dass auch ihre
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