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Moorseelen

Moorseelen

Titel: Moorseelen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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auf der sie in Windeseile Armbänder, Ketten und Ohrringe verteilten, offensichtlich um sie zu verkaufen. Die bunten Sachen und vielleicht auch die vorigen Trommelklänge wirkten wie ein Magnet. Immer mehr Leute kamen und reckten neugierig die Hälse, um den Schmuck zu betrachten. Auch ich ging die paar Schritte zu der Decke und begutachtete die Sachen. An einfachen Lederbändern baumelte ein dicker, silberner Buddha, um drei verschlungene Satinbändchen fürs Handgelenk wand sich ein Anhänger mit einem knallroten Plastikgoldfisch. Protzige, falsche Perlen säumten ein filigranes Paar Ohrringe. Der Schmuck war sichtbar handgemacht, aber er hatte etwas Besonderes, er wirkte schrill und edel zugleich.
    »Wie wär’s mit dem Goldfischarmband, passt zu deinen Haaren«, sprach mich eine der Verkäuferinnen an. Sie hatte halblange, dichte blonde Krissellocken, die wie ein Heiligenschein um ihr lachendes Gesicht standen.
    »Geile Farbe, übrigens«, fügte sie hinzu.
    Unwillkürlich musste ich grinsen. »Findet mein Vater gar nicht. Er hat voll rumgenölt, als er mich das erste Mal so gesehen hat. Und in Amerika haben sie mir immer nur ›Lola, Lola‹ hinterhergeschrien. Wegen dieses Films Ende der 90er. Du weißt schon – dieses Mädchen mit den knallroten Haaren, die durch Berlin rennt …«
    Die Blonde nickte und lächelte. »Du warst mal in Amerika? Hast du da Urlaub gemacht?«
    »Nö, Schüleraustausch. Aber nach ein paar Monaten hab ich alles geschmissen. Nur Football und Barbecue. Und in der Highschool konnten sie mich auch nicht leiden …« Ich brach ab. Wieso erzählte ich eigentlich diesem fremden Mädchen das alles? Es musste an ihrem offenen Gesicht und dem intensiven Blick ihrer hellblauen Augen liegen. Ich hatte einfach das Gefühl, sie interessierte sich für mich. Und nicht in erster Linie dafür, ob ich was von ihrem Schmuck kaufen wollte.
    Jetzt verzog sie das Gesicht und nickte. »Kenne ich. Egal ob USA oder hier – es geht doch immer nur darum, wer die Schönste und Coolste ist. Und wenn du nicht die gleiche Musik hörst oder dieselben Markenklamotten trägst wie alle anderen, bist du draußen. Wie ich damals dieses Chichi gehasst habe, als ich noch in der Penne war …!«
    Ich starrte sie an: Mit einem Satz hatte sie meine Probleme auf den Punkt gebracht. Sie sah meinen Gesichtsausdruck und kicherte leise.
    »Treffer versenkt?«, fragte sie, aber es klang so freundlich, dass ich überhaupt nicht sauer war. Im Gegenteil: Ich fühlte mich von dieser Fremden besser verstanden als von meinem eigenen Vater.
    Während ich noch nach einer Erwiderung suchte, tippte mir jemand leicht auf die Schulter. Nick stand hinter mir.
    »Willst du was kaufen oder hier Wurzeln schlagen?«, fragte er und seine Stimme klang ungeduldig.
    »Ähm, also, ich nehme das Armband«, stotterte ich etwas überrumpelt und kramte nach meiner Geldbörse. Die Blonde musterte mich mit schief gelegtem Kopf.
    »Eigentlich kostet das einen Zehner, aber dir gebe ich es für sieben«, beschloss sie.
    Ich bedankte mich mit einem Lächeln und reichte ihr das Geld rüber.
    »Warte, ich helfe dir, dann kannst du es gleich ummachen«, bot sie an und nestelte geschickt den Verschluss des Bändchens um mein Handgelenk.
    Nick musterte den roten Goldfischanhänger belustigt. »Okay, Käpt’n Iglu, können wir? Ich lade dich auch auf ein paar Fischstäbchen ein«, witzelte er.
    Ich hatte keine Lust auf seine Scherze und wandte mich an das blonde Mädchen. »Ich werde es als Glücksbringer tragen«, erklärte ich und fügte hinzu: »Wenn ich mir mal wieder vorkomme wie der Goldfisch im Haifischbecken.«
    »Interessanter Vergleich. Und wer sind die Haie?«, hörte ich auf einmal eine Stimme hinter meinem Rücken. Sie war dunkel und brüchig und stammte eindeutig nicht von Nick. Sie klang, als würde der Sprecher entweder eine Schachtel Filterlose pro Tag wegrauchen oder in einer Rockband singen. Überrascht drehte ich mich um. Unwillkürlich zuckte ich leicht zusammen, ja, ich scheute zurück wie ein Pferd vor einem Hindernis, das zu hoch war. Vor mir stand der bestaussehende Typ, dem ich je begegnet war.
    Mich überfielen gleichzeitig zwei unterschiedliche Gefühle: Ärger darüber, dass ich verdammt noch mal nicht mein Sommerkleid angezogen hatte, das meine Taille so vorteilhaft betonte und meine Körbchengröße von B auf C pimpte. Und der dringende Wunsch, mich auf der Stelle in Nichts aufzulösen, weil ich mir auf einmal in meinen zerknitterten
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