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Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See

Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See

Titel: Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See
Autoren: Andrzej Sapkowski
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Das erste Kapitel
    Der See war verwunschen. Daran bestand nicht der mindeste Zweifel.
    Erstens lag er gleich neben dem Ausgang des verfluchten Tales Cwm Pwcca, eines geheimnisvollen, ewig nebelverhüllten Tales, das für Zauberei und magische Erscheinungen bekannt war.
    Zweitens brauchte man ja nur hinzuschauen.
    Die Wasserfläche war von einem tiefen, saftigen und makellosen Blau, ganz wie ein geschliffener Saphir. Sie war spiegelglatt, derart, dass die Gipfel der Bergkette von Y Wyddfa als Spiegelbild schöner aussahen als in Wirklichkeit. Vom See her wehte eine kalte, belebende Brise, und die würdevolle Stille wurde von nichts gestört, nicht einmal vom Plätschern eines Fisches oder vom Schrei eines Wasservogels.
    Der Ritter schüttelte sich, um den Eindruck loszuwerden. Doch anstatt weiter auf dem Kamm der Anhöhe entlangzureiten, lenkte er das Pferd hinab zum See. Ganz, als zöge ihn mit magischer Kraft ein Zauber an, der dort unten schlummerte, am Grunde, in den Tiefen des Wassers. Das Pferd ging zaghaft zwischen den Felsbrocken hinunter und gab mit leisem Schnauben zu verstehen, dass es die magische Aura ebenfalls spürte.
    Als er unten am Ufer angelangt war, saß der Ritter ab. Das Pferd an der Trense nachziehend, näherte er sich dem Rande des Wassers, wo kleine Wellen inmitten von buntem Geröll spielten.
    Er kniete nieder, dass sein Kettenpanzer klirrte. Er verscheuchte Fische, ganz klein und flink wie Nadeln, als er mit den zusammengelegten Händen Wasser schöpfte. Er trank vorsichtig und langsam, das eiskalte Wasser ließ Lippen und Zunge taub werden, die Zähne schmerzen.
    Als er abermals schöpfte, erreichte ihn ein Klang, der über die Wasserfläche herandrang. Er blickte auf. Das Pferd schnaubte, als wolle es bestätigen, dass es auch etwas gehört habe.
    Er horchte. Nein, es war keine Täuschung gewesen. Was er hörte, war Gesang. Da sang eine Frau. Vielleicht eher ein Mädchen.
    Der Ritter war, wie alle seines Standes, mit den Liedern der Barden und mit Rittergeschichten aufgewachsen. Und dort war in neun von zehn Fällen der Gesang oder das Wehklagen eines Mädchens ein Köder; die Ritter, die ihm folgten, gerieten allemal in Fallen. Manchmal in tödliche.
    Doch die Neugier siegte. Schließlich war der Ritter erst neunzehn Jahre alt. Er war sehr kühn und sehr unbesonnen. Für das eine war er berühmt, für das andere bekannt.
    Er vergewisserte sich, dass das Schwert locker in der Scheide saß, worauf er, das Pferd am Zügel führend, am Ufer entlang in die Richtung ging, aus der der Gesang kam. Er brauchte nicht weit zu gehen.
    Das Ufer war von großen Findlingen bedeckt, dunklen, blankgewaschenen Felsbrocken, als hätten Riesen ihr Spielzeug achtlos weggeworfen oder nach dem Spiel vergessen. Manche lagen im See, schienen schwarz unter dem durchsichtigen Wasserspiegel hervor. Manche erhoben sich über die Oberfläche; von den Wellen umspült, sahen sie aus wie die Rücken von Leviathanen. Die meisten aber lagen am Ufer, vom Strand bis hin zum Walde. Manche waren im Sand begraben und ragten nur zum Teil heraus, so dass man nur raten konnte, wie groß sie insgesamt waren.
    Der Gesang, den der Ritter hörte, kam just hinter jenen Steinenam Ufer hervor. Doch das Mädchen, das da sang, war nicht zu sehen. Der junge Mann zog das Pferd heran, hielt es an Gebissstange und Nüstern, damit es weder wieherte noch schnaubte.
    Die Kleidung des Mädchens ruhte auf einem Stein, der im Wasser lag und flach wie ein Tisch war. Sie selbst, nackt, bis zur Taille im See, wusch sich, wobei sie planschte und vor sich hin sang. Der Ritter verstand die Worte nicht.
    Kein Wunder.
    Das Mädchen, dafür hätte er seine Hand ins Feuer gelegt, war kein Mensch von Fleisch und Blut. Davon zeugten der feingliedrige Körper, die seltsame Haarfarbe, die Stimme. Er war sich sicher, dass er, wenn sie sich denn umwandte, große, mandelförmige Augen sähe. Und wenn sie die aschblonden Haare zurückstriche, würde er sogleich schmale, spitz zulaufende Ohrmuscheln erblicken.
    Das war eine Bewohnerin von Faërie. Eine Fee. Eine von den Tylwyth Têg. Eine von denen, die die Pikten und die Iren Daoine Sidhe nannten, das Hügelvolk. Eine von denen, die die Sachsen Elfen nannten.
    Das Mädchen unterbrach für einen Moment den Gesang, tauchte bis zum Hals unter, prustete, schnaufte und begann ausgesprochen gemein zu fluchen. Den Ritter täuschte das jedoch nicht. Es war allgemein bekannt, dass Feen auf Menschenart fluchen konnten.
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