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Die Germanin

Titel: Die Germanin
Autoren: Robert Gordian
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    Drusus lag im Sterben.
    Der Sturz von einem ungebärdigen Pferd, bei dem der junge Feldherr gegen einen Baum geprallt und auf einem spitzen Felsbrocken gelandet war, hatte so schwere Verletzungen zur Folge gehabt, dass er seitdem auf dem Krankenlager dahinsiechte. Mit ihren Versuchen, die gebrochenen und verrenkten Gliedmaßen zu richten, konnten die Ärzte dem Verunglückten nur schlimmere Qualen bereiten. Zerstörend und unaufhaltsam breitete sich der Wundbrand aus. Allein die starke Natur des Drusus verzögerte das Ende.
    Das römische Heer, das nur noch die Hälfte seiner ursprünglichen Mannschaftsstärke hatte, rastete in einem Lager nahe des Flusses Visurgis, im Land der Cherusker, das als erobert galt. In dieser Herbstnacht des Jahres 744 ab urbe condita traf der neue Feldherr Tiberius ein. Mit einem Gewaltritt, nur in Begleitung eines einzigen Vertrauten, eines Galliers, hatte er den langen, unsicheren Weg vom Rhenus zurückgelegt. Er kam im letzten Augenblick, noch lebte sein Bruder.
    Der begonnene Rückmarsch der Römer nach Westen war nach dem Unfall ein paar Tage fortgesetzt, dann aber unterbrochen worden – trotz seines hoffnungslosen Zustands wollte niemand die Verantwortung für den Tod des Drusus übernehmen, den die Beförderung auf einem ungefederten Trosswagen durch eine fast weglose, wüste Gegend ohne Zweifel beschleunigen musste. So hatten die höheren Offiziere beschlossen, an dieser Stelle, in deren Umgebung freundlich gesinnte Stämme siedelten, ein Lager zu errichten und die Ankunft eines neuen Befehlshabers abzuwarten. Noch am Tage des Unfalls waren Reiter mit der Unglücksbotschaft zum Rhenus aufgebrochen. Ein Sonderkurier der römischen Staatspost war über die Alpen nach Ticinum geeilt, wo sich der Caesar Augustus mit seiner Frau Livia, der Mutter des Verunglückten, und deren gerade vom pannonischen Kriegsschauplatz zurückgekehrten älteren Sohn Tiberius aufhielt. Dieser hatte sich unverzüglich auf den Weg gemacht.
    Tiberius erschien so überraschend am Lagertor, dass es unmöglich war, die Mannschaft noch rechtzeitig zu seiner Begrüßung antreten zu lassen. Er hatte dafür auch keinen Sinn. Die im Prätorium versammelten Offiziere eilten ihm entgegen, doch er drückte nur jedem stumm und flüchtig die Hand und verlangte, zu seinem Bruder geführt zu werden. Drusus war nicht mehr bei Bewusstsein. Tiberius ließ sich neben seinem Lager nieder und hörte mit unbewegter Miene, nur knappe Fragen einwerfend, den Tribunen und den Ärzten zu, die den Unfall und ihre Maßnahmen schilderten. Ab und zu beugte er sich vor und versuchte, Worte zu verstehen, die die schon fast gelähmte Zunge formte und die keinen Sinn mehr ergaben. Er tauchte selbst die Kelle in den Krug, um dem Sterbenden Wasser einzuflößen. Das früher so hübsche, runde, frische Gesicht des Drusus war jetzt fahl und gealtert, entstellt von den furchtbaren Leiden, die der Unglückliche ertragen musste.
    Im nur dürftig beleuchteten Vorzimmer des Prätoriums, eines hastig zusammengezimmerten flachen Holzbaus in der Mitte des Lagers, herrschte Gedränge. Die Offiziere standen in Gruppen beisammen und unterhielten sich mit gedämpften Stimmen. Ein paar vornehme Römer, die das Heer als Gäste des Feldherrn begleiteten, saßen auf den Bänken längs der Wände. Auch germanische Stammesführer hatten sich eingefunden, unter ihnen Segestes und Segimer, die als Gaufürsten die prorömische Partei der Cherusker anführten. Der Letztere hatte zwei Söhne mitgebracht. Aneinander gedrängt schliefen die beiden Jungen in einer Ecke.
    »Prächtige Bürschlein«, bemerkte Caecina, einer der Offiziere. »Wie alt sind sie?«
    »Alt genug, um das Waffenhandwerk zu lernen«, erwiderte Segimer, ein untersetzter Glatzkopf im Bärenpelz, mit breiter Nase und struppigem Bart. Er blinzelte den Zenturio misstrauisch an.
    »Dein Ältester kann wenig mehr als neun Jahre alt sein«, sagte der lange, hagere Segestes, der alle im Raum überragte. »Er wurde geboren, als wir das Fest der Nerthus feierten.«
    »Das stimmt, aber das war vor zwölf Jahren.«
    »Du irrst dich.«
    »Wie sollte ich mich irren! Ich werde wohl wissen, wie alt meine Söhne sind. Der Zweite kam gleich danach, ein Jahr später.«
    »Willst du sie wirklich schon zum Militärdienst anmelden?«
    »Weshalb hätte ich sie sonst mitgebracht?«
    Die beiden Germanen hatten den kurzen Wortwechsel in ihrer Sprache geführt, doch der Zenturio, der seit drei Jahren an Feldzügen
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