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Moor

Moor

Titel: Moor
Autoren: Gunther Geltinger
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wie pupillenlos. Ich meine, so richtig weg von hier, sagt er. Als du nach Sekunden, in denen du trotz des Getöses deinen Herzschlag zu hören glaubst, endlich nickst, fährt er so ruckartig an, dass du gar nicht anders kannst, als seine Schultern zu packen.
    Der plötzliche Lichtwechsel am Ende des Tunnels schmerzt in den Augen. Die Sonne wärmt nicht, doch du spürst ihre Kraft. Auf der sandigen, von Reifenspuren zerfurchten Auffahrt zur Straße bremst Hannes ab, das Mofa bricht aus, gleichzeitig setzt ihr die Füße auf den Boden. Am Straßenrand steht ein Streifenwagen. Jemand kurbelt das Fenster herunter. Feuer, schreit Hannes und deutet hinter sich in den Wald. Der Polizist mustert euch durch die Gläser einer verspiegelten Sonnenbrille, taucht dann weg, auf demBeifahrersitz erkennst du eine zweite Person, die etwas ins Funkgerät spricht. Der Wagen biegt auf den Feldweg. Wo dein Helm sei, ruft noch der Fahrer, doch im selben Moment jagt Hannes die Maschine die Böschung hinauf. Du bohrst die Fingernägel in die Jacke. Er lenkt auf die Straße, stoppt wieder, streckt den Kopf über die Schulter. Besser so, sagt er und schlingt sich deine Arme um den Bauch. In der Biegung siehst du, wie der Polizeiwagen im Wald verschwindet, dann, auf der Brücke über die Jumme, verliert sich dein Blick.
    Irgendwo auf offener Straße haltet ihr an und pinkelt ins Feld, getrennt von der Fahrbahn. Keiner schaut dabei hoch. Dennoch schirmst du dich ab. Der Strahl spritzt zweigeteilt hinter deiner Hand hervor, versickert zwischen den blassgrün aufschießenden Halmen des Weizens. Am Bahnhof von Zeeve, wo Hannes dich absetzen wollte, zieht er vorüber. Die Häuserzeilen enden abrupt, weite Felder erstrecken sich entlang der Trasse, die meisten besät, manche noch brach, durchsetzt von den dunklen Flecken der Forste im Wechsel mit kleinen Siedlungen aus schwarzem oder rußig rotem Klinker und lichten Apfelplantagen, in denen kaum ein Baum tot oder zersplittert ist.
    An der großen Ampelkreuzung biegt ihr auf die Bundesstraße ab, die nach Hamburg führt, dicht von Lastwagen befahren und zeitweise parallel zur Autobahn, auf einen nah gerückten, von Strommasten, Fabrikschloten, Brückenpfeilern und zuletzt von den hoch aufragenden Gerippen der Hafenkräne durchbrochenen Horizont zu, immer weg vom Moor und hin zum Meer.

vier.
SOMMER
    Von hier draußen kannst du die Insel nicht mehr sehen. Wo das Wasser aufs Land drängt oder das Land sich gegen das Wasser stemmt, begrenzt eine harte Linie deinen Blick, täuscht ein Ende vor. Erst in der unaufhaltsamen Bewegung der Wellen verschwimmt sie. Das leere Bild füllt sich, bildet Zacken und zitternde Gipfel dort, wo die Brandung sich aufbäumt. Dazwischen öffnen sich flüchtige Täler auf einen Streif aus Sand und hellem Gras.
    Der Grund verflacht, Spuren zeichnen sich ab: Felsriffe und die Krater der Saugschiffe vom Küstenschutz, die den Sand abpumpen und auf den Strand spülen. Reste zerstörter Holzbuhnen, deren glattgeschliffene schwarze Köpfe in abfallenden Reihen aus dem Wasser starren und bei Ebbe, wenn sie im Wind trocknen, mit ihren zernagten Wirbeln an das halb verschüttete Rückgrat eines vor langer Zeit gestrandeten Wals erinnern. Haufen sternförmiger Betontetrapoden, von Baggern ausgestreut wie Futter für einen Steine fressenden Riesen. Von den untersten Blöcken ragt nur noch die Kuppe aus dem Sand. Darauf, nur für Sekunden sichtbar, die Kriechbahnen der Krebse, ein Saum aus abgestorbenem Seegras und leise klirrenden Muschelschalen, mit jeder neuen Woge zu Bändern und Schleifen geschwemmt, zufällige Muster am Fraßrand des Wassers, wo die unablässige Wanderung für einen kurzen Moment zur Ruhe kommt.
    Keine Angst, ich werde dir nicht wehtun. Mit den Tabletten im Blut hast du das Gefühl, du selbst zu sein, schon fast überwunden, der alte Schmerz ist nur mehr wie die verblassende Erinnerung an einen schlechten Traum. Jetzt schlage ich dich Stirn voraus gegen einen Felsen, du verlierst das Bewusstsein. Dein Körper gleitet an zottigen Algenbärten entlang auf den Grund, ritzt sich an den Seepocken. Die Miesmuscheln, dicht an dicht in ihrer schwarzen Kolonie, bestarren blicklos dein Sinken. Ein Taschenkrebs flüchtet vor dem fremdartigen Wesen in einen Spalt, äugt dann wieder hervor, zückt die Scheren. Kaum sichtbar im Unterwasserlicht bildet ein Schwarm Jungheringe um deinen Kopf eine schnell zerstiebende Wolke, winzige Münder küssen dich kalt. Das Seegras am Fuß
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