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Moor

Moor

Titel: Moor
Autoren: Gunther Geltinger
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kulminieren ließ. Danach flaute der Ausbruch ab, ihr Gestöhn wurde langsam leiser – du wusstest nicht mehr, heißt es im Buch, ob sie noch immer lachte oder schon weinte.
    Von diesem Moment an hast du nichts mehr empfunden. Im Innern sei nur noch Asche gewesen, wie nach einer Feuersbrunst, vernichtend und befreiend zugleich. Irgendwann habt ihr voneinander abgelassen und euch auf den Rücken gedreht, jeder auf seine Betthälfte, wo ihr, gleich einem Liebespaar nach dem Höhepunkt, noch eine Weile schwitzend und von Nachbeben geschüttelt lagt, bis die Körper erschlafften.
    Sie zog dich heran, presste das heiße Gesicht an deinen Hals und schlief ein. Noch lange hast du mit pochenden Schläfen in die Dunkelheit gelauscht, fünf, vielleicht zehn Minuten,bis du hinterm Dröhnen des Bluts in den Adern wieder die Laute der Nacht hörtest – den Wind in den Ranken an der Hauswand, das unregelmäßige Flappen der Plastikplane, die noch immer vom Gerüst des Dachdeckers hing, draußen in der Ebene den katzenhaften Schrei einer Sumpfohreule, aus deinem Zimmer das Knarzen des Lattenrosts, bald gefolgt von Daniels Schnarchen, dazwischen wieder der Wind, der Vogel, die Mutter, die in dein Ohr atmete, und irgendwann nichts mehr, nur noch meine Stimme, die langsam im Traum ertrank.
    Der Teich liegt verlassen, niemand stört das Spiel von Licht und Schatten auf dem Wasser, keiner sieht darin ein Gesicht, eine Hand. Die Äste sind tot oder treiben aus, die Steine backen in der Sonne, die Larven kriechen durch den Schlamm, Wurzeln ragen kreuz und quer. Die Binsen stehen gerade, beugen sich dann leicht nach Osten, gefolgt von den dünneren Zweigen. Ein wenig Laub wirbelt auf. Die Sonne steht hoch in ihrem weißen Loch. Der Baumstumpf kann sich nicht erinnern, wer eben noch auf ihm saß. Die vertrockneten Mooskissen werden nach dem nächsten Regen wieder grün sein, jemand wird seinen Finger hineinbohren und die Berührung als zärtlich empfinden. Der Himmel ist hellblau und groß. Keine Wolken, kein Rauch am Horizont, nicht einmal ein Helikopter in der Luft. Du bist schon auf der Landstraße, als aus dem Gras das winzige Flämmchen schlägt.
    ◆◆
    An einer Stelle hast du vom Mofa aus tatsächlich Feuer gesehen. Wo Hannes das Gas drosselte und die Landstraße unvermittelt nach rechts schwenkt, nachdem sie für Kilometerschnurgerade auf dem Damm verlaufen ist. Hinter dem Föhrenwäldchen, durch dessen löchrige Reihen du in blonden Streifen das Pfeifengras schimmern sahst, dazwischen dunkle Mulden, manchmal ein kleiner, tief eingegrabener Bach, kurz aufblitzend im Vorbeiflug und gleich wieder weggewischt von den Wedeln der Nadelhölzer am Rande der Trasse, die in einem weiten Bogen um die Ebene herumführt, am Ende der Kurve fast wieder in entgegengesetzte Richtung, als würde die Straße doch noch einen Vorstoß in das Gelände wagen, um aber dann, im letzten Moment, wenn schon die ersten Risse im Boden unterhalb der Böschung klaffen, wieder nach links abzuknicken, nach Westen auf die Jumme zu, dort blickst du dich um.
    In deinem Rücken das Grasland, ein bärtiges, silbrig flimmerndes Band zwischen den Forsten, aufgefädelt an der hartgespannten Horizontlinie mit dem blassen, in der staubigen Luft ein wenig verzitterten Zacken des Fenndorfer Kirchturms. Hier, vom Ende aus gesehen, erscheint dir das Moor viel kleiner als auf der anderen Seite, an seinen Eingängen hinter den Erlen am Teich, wenn auf deinen Streifzügen das heimatliche Dorf nach wenigen hundert Metern außer Sichtweite gelegen hatte und du schon bald der einzige Mensch in einer unbewohnten und weglosen Wildnis warst, wohl eine optische Täuschung, denkst du jetzt, als Hannes plötzlich abbiegt und dein Blick sich im Wald verliert.
    Er steuert das Mofa in eine tunnelartige Schneise. Es wird augenblicklich düster und kalt. Noch nie hast du dich in dunklen Wäldern und auf ungesicherten Wegen gefürchtet, kennst das mulmige Gefühl nur vom Pausenhof oder inmitten lärmender Spiele am Badestrand. Du klammerst dich anden Gepäckträger, der dir mit seinen scharfen Metallkanten in die Finger schneidet.
    Schon wenige Kilometer hinter der Bushaltestelle haben deine Hände zu schmerzen begonnen, doch du hast dich nicht getraut, den Griff zu lockern oder sogar deine Arme um Hannes zu legen, vielleicht den Kopf zwischen seine Schulterblätter, zum Schutz vor dem Fahrtwind, wie du es oft bei den Mädchen aus der Zehnten gesehen hast, die sich abends am Wartehäuschen
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