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Berufen (Die Kinder des Schöpfers, Band 1) (German Edition)

Berufen (Die Kinder des Schöpfers, Band 1) (German Edition)

Titel: Berufen (Die Kinder des Schöpfers, Band 1) (German Edition)
Autoren: Marnie Schaefers
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Prolog
    Tod
     
    Ich bin der Schatten, aus dem Träume sind, der Hauch vergessener Erinnerungen und die Gewaltigkeit des Schmerzes, seelischer und körperlicher Qual.  Ich bin ein treuer Begleiter, zeitgleich immer auf der Suche. Ich bin der Beobachter, der Zuhörer, der Geist schafloser Nächte. Unentbehrlich bin ich, hat man einmal einen Pakt mit mir geschlossen. Mit jedem Heben meiner Brust atme ich die Gefühle fremder Menschen. Mit jedem Augenaufschlag gewahre ich die verborgenen Eindrücke unscheinbarer Einzelgänger. Denn ich horche auf die Besonderheiten, die ein jedes Leben umgibt. Möge es noch so bedeutungslos erscheinen. Ich bleibe, so lange es mir beliebt. Doch gleichsam bin ich der, den du vergessen hast, bevor du dich überhaupt an mich erinnern kannst. Stets aufmerksam wache ich. Immerzu weile ich zur rechten Zeit am rechten Ort.
    Und das tat ich auch heute.
    Ich lernte Crevi Sullivan an einem Tag im Hochsommer im Jahre 1830 kennen, zu jener Zeit, in der Sommerlieben Gang und Gäbe sind und Pärchen ihr vollkommenes Glück genießen, das – so scheint es – niemals Vergänglichkeit atmen muss. Die junge Frau aber, der ich gewahr wurde, war alleine. Still und unauffällig saß sie in einer der dunkelsten Ecken des Bankettsaales; die eine Hälfte ihres Gesichts hinter einem Vorhang aus blonden Locken verborgen, so dass man die blassen Wangen mit den Sommersprossen nur erahnen konnte.
    Ich bemerkte sie trotzdem.
    Denn sie war der Grund, der mich an diesen Ort führte.
    Ich war in einer ganz bestimmten Absicht hierher gekommen.
    Sie sah traurig aus.
    Mein zweites Paar Augen und Ohren hatte mich auf sie aufmerksam gemacht und behauptet, Miss Sullivans Leben stünde vor einem Umschwung. Menschen, denen etwas bevorsteht, sind besonders lohnenswerte Beobachtungsobjekte, wie ich nach jahrelanger Forschung sagen kann.
    In einem Moment sind sie unzufrieden mit dem, was sie besitzen, und im nächsten sehnen sie sich voller Nostalgie danach zurück. Man weiß die Dinge einfach nicht zu schätzen, bis man sie verliert. Erst der Verlust öffnet einem die Augen.
    Das kannte ich selbst nur zu gut.
    Es war einer der wenigen Gedanken, die meine eigenen geblieben waren.
    Aber zurück zu der jungen Frau. Mein Schatten verwies nachdrücklich darauf, sich dieses Falls anzunehmen, also ließ ich unseren zweiten Schützling in ihrer Obhut und brach auf an den Ort, an dem ich in ein neues Leben eindringen würde.
    Auch heute sieht die junge Frau bedrückt aus. Über alle Maßen bedrückt.
    Hingegen all unserer Bemühen war es letztendlich doch geschehen. Ich kann meinem Schützling nicht einmal einen Vorwurf machen. Wir hätten einfach ahnen müssen, dass es früher oder später passieren würde. Es war äußerst töricht, allein auf die Abmachung zu vertrauen.
    Aber ist man im Nachhinein nicht immer schlauer?
    Crevi, in meinen schrägen Flickenmantel gehüllt, in dem sie geradezu versinkt, sitzt direkt neben mir und starrt auf einen Fleck irgendwo im Nirgendwo, lethargisch, nachdenklich, versunken, als befände sie sich in einer gänzlich anderen Welt. Ich hoffe sehr, dass sie sich bald vom Schock der Erkenntnis erholen wird. Ich erinnere mich nur zu gut an ihre Ängste, von denen sie mir berichtet hat. War nicht genau das eingetreten, vor dem sie sich stets fürchtete?
    Doch Augenblick!
    Ich sollte dort anfangen, wo alles begann.
    Kehren wir zum Tag der Feierlichkeiten zurück. Es war ein heißer Tag und in der schwülen Wärme des Saales fiel es nur allzu leicht, mit den Gedanken abzuschweifen. Schließen wir also die Augen und versetzen uns für einen kurzen Moment in eine Zeit zurück, in der alles möglich schien. Denn es war diese Zeit, die Crevi immer wieder – so auch jetzt – mit Faszination erfüllte.
    Als die erbitterten Schlachten um die Vorherrschaft in Elenyria bereits tobten, so heißt es, habe der Schöpfer die Menschheit ihrer Schwächen beraubt. Er erhob sie zu wahren Gottheiten, furchtlos, flink und unverwundbar, geschaffen für einen einzigen Zweck: den Norden zum Triumph zu führen. Und das taten sie.
    Es war eine Ära der Helden.
    Nur fühlte Crevi sich im Augenblick weder furchtlos noch wie eine Heldin. Eher von ihren Schwächen zermartert. Sie saß an einem dunklen Mahagonitisch, nahe bei den Fenstern mit den zugezogenen, bodenlangen Vorhängen aus goldenem Brokat, möglichst abseits und unauffällig in ihrer Ecke, damit nur niemand auf sie aufmerksam würde.
    Während alles um sie herum bester
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