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Moor

Moor

Titel: Moor
Autoren: Gunther Geltinger
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der eine, dann der andere Name vom Haus herüber zum Teich, wo sie ihre Runde schwimmt.
    Unterhalb des Asts hält sie inne, greift ins Wasser und drückt etwas in die Tiefe, das du dir, wenn es auftauchen könnte, schwarz und unberührt vorstellst, namenlos, noch nie gesehen, etwas längst Vergessenes, konserviert im Torf. Dion und Leon, tönt es noch einmal vom Haus, wo Marga plötzlich im Garten steht und zum Teich herüberwinkt, der jetzt still und rot zwischen den Binsen liegt, fein gestrichelt vonwinzigsten Wellen und den Strahlen der Morgensonne, die durchs Erlenlaub zittern und für den Bruchteil einer Sekunde dein Gesicht aufs Wasser zeichnen. Dion und Leon!, ruft sie und teilt die Binsen, in der Astklaue hängt das tote Kind.
    Als du stöhnend aus dem Traum hochfuhrst, war sie weg. Drüben glaubtest du, ein Wimmern zu hören, hast leise die Tür zum Schlafzimmer aufgedrückt. Sie lag eingerollt neben Daniel, der spät aus der Stadt zurückgekommen sein musste. Ihr Gesicht war bleich, doch der Mund nicht vom Weinen verzerrt, eher hübsch, fast lächelnd im Mondlicht, oder war das Zimmer in Wirklichkeit dunkel, hast du den Mond nur später in die Erinnerung gehängt?
    In diesem Licht siehst du Daniel zucken, als du an das Bett herantrittst und eine Diele knackt. Du duckst dich hinter die Fußblende, doch er wacht nicht auf, dreht sich zur Seite, näher an sie heran. Jetzt droht sie zu erwachen. Ihr Mund, auf den nur der Schatten einer Haarsträhne das Lächeln gezeichnet hat, verzieht sich, du hältst den Atem an. Sie brummt etwas, streckt die Beine aus, wirft sich herum und schläft weiter, das Gesicht jetzt auf gleicher Höhe mit seinem, zwischen den einander zugewandten Augen eine Armlänge Dunkelheit, weich, warm und einladend zwischen ihrem und seinem Körper, wie geschaffen für ein Kind.
    Du kletterst aufs Bett und legst dich zwischen sie. Er schnauft, sie murrt, beide kommen näher und strecken die Hände nach einander aus, tastend über deine Schultern, bis sie sich ineinander verschränken und die eine dich von links, der andere von rechts in die Arme zieht. Sie drückt ihre Brust, er das Becken an dich, sie schiebt dir die Hand zwischendie Schenkel, er legt dir das schwere Knie aufs Geschlecht. Einer sucht des anderen Lippen, die von beiden Seiten über deine Wangen kriechen und sich auf deinem Mund finden, wo du erst ihren, dann seinen Kuss stiehlst; kurz bevor die Berührung wieder auseinanderreißt und jeder zurücksinkt in seinen einsamen Schlaf, steckst du die Zunge in das Chaos aus Haut und Bartstoppeln, Geliebter und Geliebtem, Vater und Mutter.
    Vielleicht, denkt der Junge in deinem Buch, ist genau das meine Familie; nicht das Miteinander um den Abendbrottisch, die Schwester, die mich in den Hühnerstall sperrt, und der Bruder, der mir den Fußball in den Bauch schießt, kein je gesehenes Bild aus den Stuben und Gärten des Dorfes, sondern sie zur einen Seite, er zur anderen, dazwischen ICH, von beiden gehalten und gestreichelt, in diesem Moment zum ersten Mal geliebt.
    Sie habe zugleich die Augen aufgeschlagen. Noch zwei, drei Sekunden, schreibst du, sei ihr Gesicht das alte, vertraute gewesen, so, wie du es immer gekannt hast vom Gutenacht- oder Morgenkuss, unmittelbar vor oder nach dem Schlaf. Dann sei es geplatzt, vom Mund ausgehend wie von einem Riss.
    Sie fing an zu lachen, erst in leisen, ruckenden Stößen, dann lauter, klirrender, bis sie sich auf den Rücken warf und sich unter den Salven krümmte. Daniel stieß dich weg und sprang aus dem Bett. Du glaubst dich zu erinnern, dass er sich mit der Hand über den Mund fuhr und ausspuckte. Er stand nackt auf dem Läufer, starrte angewidert auf euch herab, packte sie schließlich an den Haaren, riss sie hoch undzischte: Du verfotztes Miststück!, was sie nur noch mehr aufstachelte. Ein solch gellender Laut entfuhr ihr, dass auch du dich nicht mehr zurückhalten konntest.
    Du hattest keine andere Wahl. Die einzige Möglichkeit, über diesen Moment hinwegzukommen, sei es gewesen, mit einzustimmen, Daniel ins Abseits zu lachen, ihr Komplize zu werden. In deinem Buch schreibst du von einem ansteckenden und wuchernden Gelächter, das sich, übertragen durch ein winziges Tröpfchen Spucke, wie ein aggressives Virus in deinen Körper fraß, wo es alles zersetzte, was sich eben noch, in der dreisamen Umarmung, gut und richtig angefühlt hatte.
    Daniel packte die Bettdecke und zog ab, was ihr Lachen in einem markerschütternden Kreischen
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