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Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg

Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg

Titel: Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg
Autoren: Hape Kerkeling
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9. Juni 2001 – Saint-Jean-Pied-de-Port
     
    » Ich bin dann mal weg!« Viel mehr habe ich meinen Freunden eigentlich nicht gesagt, bevor ich gestartet bin. Ich wandere halt mal eben durch Spanien. Meine Freundin Isabel kommentierte das sehr lapidar mit: »Aha, jetzt bist du durchgeknallt!«
    Was, um Himmels willen, hat mich eigentlich dazu getrieben, mich auf diese Pilgerreise zu begeben?
    Meine Oma Bertha hat es schon immer gewusst: »Wenn wir nicht aufpassen, fliegt unser Hans Peter eines Tages noch weg!«
    Wahrscheinlich hat sie mich deshalb auch immer so gut gefüttert.
    Und so könnte ich jetzt bei einer heißen Tasse Kakao und einem saftigen Stück Käsekuchen gemütlich zu Hause auf meiner roten Lieblingscouch liegen. Stattdessen hocke ich bei erstaunlich kühlen Temperaturen in einem namenlosen Café am Fuß der französischen Pyrenäen in einem winzigen mittelalterlichen Städtchen namens Saint-Jean-Pied-de-Port. Einer malerischen Postkartenidylle ohne Sonne.
    Von der Zivilisation kann ich mich dann doch noch nicht ganz lösen, deshalb sitze ich direkt an der Hauptstraße und stelle fest: dafür, dass ich vorher noch nie etwas von diesem Ort gehört habe, brettern hier unglaublich viele Autos durch.
    Auf dem wackeligen Bistrotischchen vor mir liegt mein fast leeres Tagebuch, das anscheinend genauso einen Appetit hat wie ich. Eigentlich hatte ich bisher noch nie das Bedürfnis, mein Leben schriftlich festzuhalten – aber seit heute Morgen verspüre ich den Drang, jedes Detail meines beginnenden Abenteuers in meiner kleinen orangefarbenen Kladde aufzuzeichnen.
    Hier also beginnt meine Pilgerreise nach Santiago de Compostela.
    Die Wanderung wird mich über den Camino Francés, eine der Europäischen Kulturstraßen, über die Pyrenäen, quer durch das Baskenland, Navarra, die Rioja, Kastilien-León und Galicien nach etwa 800 Kilometern direkt vor die Kathedrale von Santiago de Compostela führen, in welcher sich, der Legende nach, das Grab des Apostels Jakob befindet, des großen Missionars der iberischen Völker.
    Wenn ich nur an den langen Fußmarsch denke, könnte ich mich jetzt schon vierzehn Tage ausruhen.
    Das Entscheidende ist: Ich werde laufen! Die ganze Strecke. Ich laufe! Ich muss es gerade selber noch einmal lesen, damit ich es glaube. Allerdings nicht alleine, sondern gemeinsam mit meinem elf Kilo schweren, knallroten Rucksack. Falls ich unterwegs tot umfalle, und die Chancen dafür stehen gar nicht schlecht, erkennt man mich mit dem wenigstens aus der Luft.
    Zu Hause benutze ich nicht mal die Treppe, um in den ersten Stock zu kommen, und ab morgen müsste ich dann jeden Tag zwischen 20 und 30 Kilometern gehen, um in knapp 35 Tagen ans Ziel zu gelangen. Die bekennende Couch potato geht auf Wanderschaft! Gut, dass keiner meiner Freunde so genau weiß, was ich hier eigentlich vorhabe, dann ist es nicht ganz so peinlich, wenn ich wahrscheinlich schon morgen Nachmittag das ganze Unternehmen aus rein biologischen Gründen wieder abblasen muss.
    Heute Morgen habe ich mal einen ersten vorsichtigen Blick auf den Anfangspunkt des offiziellen Jakobswegs geworfen. Er liegt oberhalb des Stadttores jenseits der Türmchen und Mauern von Saint Jean, dem Schlüssel zu den spanischen Pyrenäen, und läutet die erste Etappe auf dem Camino Francés mit einem recht steilen Aufstieg über einen Kopfsteinpflasterweg ein.
     
     
    Mein Weg beginnt in Saint-Jean-Pied-de-Port  
     
    Dort begibt sich gerade ein etwa siebzig Jahre alter Herr mit einer starken Gehbehinderung sehr entschlossen auf den Pilgermarathon. Ich starre ihm bestimmt fünf Minuten ungläubig hinterher, bis er langsam im Morgennebel verschwunden ist. Ich bin mir sicher, der schafft das!
    Die Pyrenäen sind ziemlich hoch und erinnern mich an das Allgäu.
    In meinem hauchdünnen Reiseführer, den ich schließlich auch über die schneebedeckten Wipfel der Pyrenäen schleppen muss, steht, dass Menschen sich seit vielen Jahrhunderten auf die Reise zum heiligen Jakob machen, wenn sie, wörtlich und im übertragenen Sinn, keinen anderen Weg mehr gehen können.
    Da ich gerade einen Hörsturz und die Entfernung meiner Gallenblase hinter mir habe, zwei Krankheiten, die meiner Einschätzung nach großartig zu einem Komiker passen, ist es für mich allerhöchste Zeit zum Umdenken – Zeit für eine Pilgerreise.
    Über Monate nicht auf die innere Stimme zu hören, die einem das Wort »PAUSE!« förmlich in den Leib brüllt, sondern vermeintlich diszipliniert
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