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Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg

Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg

Titel: Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg
Autoren: Hape Kerkeling
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gleichzeitig gibt es ihn nicht, das verstehen Sie zwar nicht, aber tut mir wieder Leid, so sind nun mal die Tatsachen, Monsieur!«
    Damit könnte ich leben, denn das wäre eine Art Kompromiss! Einige Hindus vertreten übrigens diesen scheinbar absurden Standpunkt.
    Nur: Wer sucht denn hier eigentlich nach Gott?
    Ich! Hans Peter Wilhelm Kerkeling, 36 Jahre, Sternzeichen Schütze, Aszendent Stier, Deutscher, Europäer, Adoptiv-Rheinländer, Westfale, Künstler, Raucher, Drachen im chinesischen Sternkreis, Schwimmer, Autofahrer, GEZ-Gebührenzahler, Zuschauer, Komiker, Radfahrer, Autor, Kunde, Wähler, Mitbürger, Leser, Hörer und Monsieur.
    Anscheinend weiß ich ja nicht mal so genau, wer ich selbst bin. Wie soll ich da herausfinden, wer Gott ist?
    Meine Frage muss also erst mal ganz bescheiden lauten: Wer bin ich?
    Damit wollte ich mich ursprünglich zwar nicht beschäftigen, aber da ich ständig von Werbeplakaten dazu aufgefordert werde, bleibt mir wohl nichts anderes übrig. Also gut – als Erstes suche ich nach mir; dann sehe ich weiter. Vielleicht habe ich Glück und Gott wohnt gar nicht so weit weg von mir. Sollte er jedoch in Wattenscheid leben, wäre ich hier allerdings ganz falsch!
    In meiner sauerstoffarmen französischen Zelle habe ich gestern Nacht höchstens drei Stunden geschlafen, daher wahrscheinlich auch dieses konfuse Gedankenkonstrukt. Aber vielleicht werde ich nur unter Druck nachgiebig? Heute gehe ich früh ins Bett, morgen will ich um sechs Uhr raus und los. Mann, bin ich müde!
    Falls es Gott gibt, hat er zumindest ’ne Menge Humor. Sitze ich doch bei Milchkaffee auf einem kartoffelförmigen Planeten, der mit überhöhter Geschwindigkeit durchs Weltall rast. Davon merke ich zwar nichts, aber trotzdem entspricht es den Tatsachen.
    Ich bin in Saint Jean! Ist Johannes, der Apostel, nicht der Bruder von Jakob?
    Das könnte ein dezentes Indiz dafür sein, dass dies ein Weg der Brüderlichkeit ist. Aber vielleicht ist die Stadt ja nach Johannes dem Täufer benannt? Johannes im Plural gäb’s ja einige... Bin zu müde, um das heute zu recherchieren.
    Erkenntnis des Tages:
    Erst mal herausfinden, wer ich selbst bin.

10. Juni 2001 – Roncesvalles
     
    Mann, bin ich gebeutelt! Kann kaum noch den Stift in der Hand halten.
    Heute Morgen um kurz vor sieben verlasse ich mein Hotel mit dem Ziel Roncesvalles in Spanien. Frühstück gab’s keines. Das wird erst ab acht gereicht. Stattdessen hab ich mir einen Powermüsliriegel gegönnt. Davon habe ich mir drei Stück eigentlich nur für Notfälle aus Deutschland mitgenommen. Meine Ein-Liter-Plastikwasserflasche habe ich lediglich zur Hälfte gefüllt, denn jedes Milligramm mehr macht meinen Rucksack nur schwerer.
    Gleich nachdem ich den offiziellen, zunächst gepflasterten Pilgerpfad betrete, fängt es an, wie aus Kübeln zu regnen, und die nassfeuchte Kälte macht mir schnell klar, dass meine überteuerte Regenjacke nicht nur kälte-, sondern auch wasserdurchlässig ist. Kein anderer Pilger ist unterwegs, soweit ich das in dem dichten Nebel beurteilen kann. Die Herrschaften baden offensichtlich gerne lau. Alles Weicheier und nicht so hart im Nehmen wie ich, so viel steht jetzt schon fest!
    Eigentlich wollte ich heute schön langsam starten und mich an das Gewicht auf meinen Schultern und das Gehen mit dem Wanderstock gewöhnen. Pustekuchen! Bei dem Wetter will man nicht laufen, sondern bloß so schnell wie möglich irgendwo ankommen. Der doofe Pilgerstab gerät mir ständig zwischen die Füße und kleinste Stolperer führen dazu, dass mich der Rucksack, der Schwerkraft gehorchend, mit voller Wucht nach vorne drückt, sodass ich untrainierter Moppel mich nur mit Mühe wieder fange. Ein vernünftiges Lauftempo stellt sich so nicht ein. Entweder hetze ich atemlos vor mich hin oder ich krieche nur so voran.
    Ob die Gegend hier schön ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Vor lauter Regen und Nebel kann ich nichts, absolut nichts sehen. Das Foto in meinem farbigen Reiseführer zeigt eine märchenhaft verschneite Gebirgskulisse vor einem glühenden Sonnenuntergang und erklärt diese Region zu einer der magischsten Europas, die ich unbedingt mal gesehen haben sollte. Hier soll es üppige Weidematten mit Schafen, die unbedingte Vorfahrt genießen, egal wer des Weges kommt, unter schroffen Felsformationen geben. Mag sein.
    Leider werde ich nie guten Gewissens behaupten können, hier gewesen zu sein!
    So holpere ich dann in einem dreistündigen Gewaltmarsch immer
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