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Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg

Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg

Titel: Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg
Autoren: Hape Kerkeling
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weiterzuarbeiten, rächt sich halt – indem man einfach gar nichts mehr hört. Eine gespenstische Erfahrung! Der Frust und die Wut über die eigene Unvernunft lassen dann auch noch die Galle überkochen und man findet sich in der Notaufnahme eines Krankenhauses mit Verdacht auf Herzinfarkt wieder.
    Wütend darüber, dass ich es so weit habe kommen lassen, bin ich immer noch! Aber ich habe auch endlich wieder meiner inneren Stimme Beachtung geschenkt und siehe da: Ich beschließe, während der diesjährigen Sommermonate keinerlei vertragliche Verpflichtungen einzugehen und mir eine Auszeit zu spendieren.
    Bald finde ich mich in der Reiselektüreabteilung einer gut sortierten Düsseldorfer Buchhandlung wieder und suche – frei nach dem Motto: Ich will mal weg! – nach einem passenden Reiseziel.
    Das erste Buch, das mir mehr oder weniger vor die Füße fällt, trägt den Titel Jakobsweg der Freude .
    Was für eine Frechheit, einen Weg so zu nennen!, denke ich noch entrüstet. Schokolade macht nur bedingt froh und Whiskey wirklich nur in Ausnahmesituationen und jetzt soll also ein Weg Freude bringen? Dennoch packe ich das anmaßende Buch ein. Und verschlinge es in einer Nacht.
    Der Jakobsweg nach Santiago de Compostela gehört, neben der Via Francigena von Canterbury nach Rom und der Pilgerfahrt nach Jerusalem, zu den drei großen Pilgerwegen der Christenheit.
    Der Legende nach gilt der Pfad bereits den Kelten in vorchristlicher Zeit als Initiationsweg. Kraftadern in der Erde und Energiebahnen, die so genannten Leylinien, ziehen sich angeblich über die gesamte Strecke parallel zur Milchstraße bis nach Santiago de Compostela (Sternenfeld); und sogar darüber hinaus bis nach Finisterre (Weltende) an der spanischen Atlantikküste, dem damaligen Ende der bekannten Welt. Bisher war ich immer davon ausgegangen, unser gesamter Planet befände sich irgendwie parallel zur Milchstraße. Aber bitte, man ist ja auch im Alter noch lernfähig!
    Wer nach Santiago pilgert, dem vergibt die katholische Kirche freundlicherweise alle Sünden. Das ist für mich nun weniger Ansporn als die Verheißung, durch die Pilgerschaft zu Gott und damit auch zu mir zu finden. Das ist doch einen Versuch wert!
    Wie hypnotisiert schaue ich mir in den folgenden Tagen dabei zu, wie ich fix die Reiseroute ausbaldowere und Rucksack, Schlafsack, Isomatte und Pilgerpass besorge, um auf dem Flug nach Bordeaux wieder zu mir zu kommen und mich laut sagen zu hören: »Bin ich eigentlich noch ganz dicht?«
    Ich komme in Bordeaux an und es ist noch genauso hässlich und grau wie vor zwanzig Jahren, als ich hier als Sechzehnjähriger mal auf der Durchreise war. Ich steige im »Hotel Atlantic«, einem außerordentlich schönen klassizistischen Prachtbau gegenüber dem Hauptbahnhof, ab. Bevor ich die kommenden sechs Wochen nur noch in gammeligen Schlafsälen zwischen schnarchenden Amerikanern und rülpsenden Franzosen verbringe und ein Leben ohne ordentliche sanitäre Einrichtungen führe, tu ich mir noch mal was Gutes!
    Aus dem Guten ist allerdings nicht viel geworden. Am Ende wäre es im Gemeinschaftssaal heimeliger gewesen. Mit einem bemerkenswert freundlichen Lächeln wird mir nämlich eine kahle Bruchbude ohne Fenster, dafür mit quietschblauer Neonbeleuchtung und zu einem Wucherpreis zugeteilt. Im Gegensatz zu mir rebelliert meine nicht mehr vorhandene Gallenblase umgehend.
    Wäre Bordeaux netter gewesen, wäre ich womöglich gar nicht weitergefahren.
    Zwischen der ersten und der heutigen Reise liegen zwanzig Jahre. Hab ich etwa seit zwanzig Jahren schlechte Laune? Ich gebe Bordeaux die Schuld. Das ist einfacher.
    Im Zimmer hält mich nichts, denn mein Vormieter hat die Mini-Bar, schlau wie er war, schon leer gesoffen. Also raus und zwar direkt zum Bahnhof.
    Als ich in der gigantischen Schalterhalle den Satz: »Mademoiselle, einmal Bordeaux – Saint-Jean-Pied-de-Port, einfache Fahrt, zweiter Klasse, bitte!«, in ordentlichem Schulfranzösisch über die Lippen bringe, schaut mich die afrikanischstämmige Charmeoffensive auf der anderen Seite der Scheibe mit einem strahlenden Lächeln an.
    »A quelle heure, Monsieur?« – Wann? – Clever, die Frau!
    »So um sieben Uhr morgen früh!«, entscheide ich spontan, wie ich nun mal bin.
    Die für sie wesentliche Information hat die propere Schalterbeamtin offensichtlich schon wieder verdrängt: »Wie heißt der Ort noch mal?«
    Prima! Auf keiner der Landkarten, die ich studiert habe, ist eine
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