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Moor

Moor

Titel: Moor
Autoren: Gunther Geltinger
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spät, sie hielt dich schon in der Hand. Du hast sie weggestoßen und dich umgedreht, in die Ritze zwischen Wand und Matratze. Die Erektion fühlte sich anders an, härter, fordernd, war nicht mehr so zufällig wie gestern, als du dich noch schlafend auf den steilen Gipfel gewälzt hast und von dem plötzlichen Druckgefühl erwachtest. Auch die Libelleauf der Uhr kam dir röter vor, lauernd, die Mundwerkzeuge schienen nur darauf zu warten, beim nächsten Ruck des Sekundenzeigers vorzuschnellen. Marga beugte sich über dich, du hast ihr Gewicht an deinem Hals gespürt und das Badeöl gerochen, Lavendel, ihren sogenannten Wohlfühlduft, in dem sie sich bis Mitternacht räkelt. Hast kaum atmen können, im Kragen staute sich die Luft. Die Feuchtigkeit löste auch die Gerüche aus tieferen Hautschichten, bitteren Schlafschweiß, der von ihren Tabletten rührt, Spuren von Parfum und kaltem Qualm, darunter etwas Saures, Abgestandenes, von ihrem Besäufnis am Vorabend oder noch vom Teich. Da hast du die Augen wieder geschlossen, um dir mehr Platz zu schaffen. Dich zurück in den Schlaf gewünscht, als sie deine Hand unter das Nachthemd auf den Bauchnabel schob. Weiter unten das Haar, weicher als Wollgras, doch borstiger als am Baumstumpf das Moos. Heute Nacht, sagte sie, habe sie geträumt, sie sei wieder mit dir schwanger. Das knotige Nabelloch mit der Grasritze darunter hast du dir als Eingang zu einer mit Moorwasser gefüllten Schwimmblase vorgestellt, die ein stummes, glitschiges Wesen ausquetscht, dich, Dion, den schmiegsamen Jungen mit dem komischen Namen, für den du nichts als Spott und Gelächter geerntet hast. Alle Kinder hat der Storch gebracht, nur Dion nicht, den hat das Moor gemacht , das war der Spruch gewesen, der dir entgegenkrähte, wenn du morgens vom Teich in den Kindergarten gestolpert bist, regennass und mit schmutzigen Schuhen an den anderen Müttern vorbei, die ihre Söhne und Töchter trocken und warm verpackt hatten. Ob sie dir nicht reiche, hatte Marga erwidert, als du sie wieder einmal nach deinem Vater fragtest. Tatsächlich ähnelst du keinem Mann im Dorf, ja kaum deiner Mutter. Sie ist strohblond, du hast moorbraunes Haar mit Rotstichund Sommersprossen um die Nase, die im August, deinem Geburtsmonat, zeitgleich mit der Besenheide blühen, auf einer schlaffen, ein wenig schwammigen, sommers wie winters farblosen Haut, die keine Hitze verträgt, sich in der Sonne buchstäblich aufzulösen droht wie morgens der Nebel. In Margas Augen spiegelt sich grau bis kobaltblau der Himmel, deine aber haben schon immer lieber in die dunklen Tümpel gestarrt, den Libellenlarven entgegen, die zum Schlüpfen ans Licht steigen.
    Selbst deine Sprache hast du angeblich von mir. Das hat Gorbach dir gesteckt, der Klassenlehrer, als dir beim Vorlesen aus dem Deutschbuch nur ein Blubbern über die Lippen kam. Du bist stumm wie ein Tümpel, hat er gestöhnt und den Nächsten aufgerufen. Die Klasse kicherte, Benno, dein Banknachbar, las wie geschmiert, unter deiner Zunge staute sich noch immer der Speichel, ein Tröpfeln und Drippeln wie in den verborgenen Rinnsalen der Schlenken, wo das Wasser steigt und fällt und doch nie fließt. Beim Vorlesen, Abfragen und Referieren quellen dir die Worte in den Mund, sauber gereiht zu langen, strömenden Sätzen, die dann als Spuckebläschen in die Welt platzen, mitten hinein in dein Gestammel und in die Sehnsucht nach einer anderen und ungefährlichen Sprache ohne Klingen und Kanten, weich und makellos wie morgens die Stille am Teich. Du willst nur noch in den Geräuschen des Moores sprechen, mit meinen Stimmen dein Schweigen durchbrechen, flüsternd bei Regen, brüllend im Sturm, und wenn du dich doch an einem Wort feststotterst, hören die anderen von dir nur ein Pladdern in den Traufen oder das leise Knacken der Tothölzer draußen im Bruch.
    Irgendwann bist du raus aus der Enge ihrer Umarmung und mit einem Sprung vor die offene Schranktür, die deine Erregung halbwegs verbarg. Sie stand auf, ging zum Fenster und war plötzlich sehr weiß vor dem aufscheinenden Tag. Deinen Pimmel habe ich schon gekannt, als er noch eine Larve war, sagte sie in die Morgendämmerung hinaus, sprach es in den Nebel, der sicher bald als Regen niedergehen würde, mit einer Stimme, die scharf und beleidigt klang, wie immer, wenn du sie verärgert hast. Einen quälend langen Moment der Drang, sie in den Arm nehmen und trösten zu müssen, für etwas, das du nicht benennen konntest. Noch immer sauer
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