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Klippen

Klippen

Titel: Klippen
Autoren: Olivier Adam
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Olivier Adam
    Klippen
     
    Roman
     
     
     
    Aus dem Französischen von
    Carina von Enzenberg
     
     
     
     
     
     
     
     
    SchirmerGraf Verlag
    München
    Von Olivier Adam liegt bei SchirmerGraf außerdem vor:
    Am Ende des Winters. Erzählungen (2004)
    Leichtgewicht. Roman (2005)
    Keine Sorge, mir geht’s gut. Roman (2007)
     
     
     
     
     
     
     
     
    Die Originalausgabe erschien 2005 unter dem Titel Falaises bei
    Éditions de l’Olivier in Paris.
    ISBN 978-3-86.555-051-4
    © Éditions de l’Olivier/Le Seuil, 2005
    © der deutschsprachigen Ausgabe:
    SchirmerGraf Verlag, München 2008
    Umschlagmotiv: Elger Esser, La Manne-Porte (2002)
    Gesetzt aus der Berthold Caslon
    Satz: Uwe Steffen, München
    Druck und Bindung: CPI – Ebner & Spiegel, Ulm
    Printed in Germany
     
    www.schirmer-graf.de
     
     
     
     
     
     
     
     
    Für Karine
     
     
     
     
     
     
     
     
    »Das ist meine Jugend, und ich habe keine andere.«
     
    H ENRI C ALET
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    I
     
    Im Sand
     
     
     
     
     
    Hier ist die Nacht tief und schwarz wie die Welt. Hinter der gläsernen Balkontür schläft Claire, getrennt von der Außenwelt und den Klippen, geschützt gegen das Meeresrauschen und die Gesellschaft der Vögel, und wer weiß, wo’s für uns hingeht … Chloé liegt in ihren Armen, friedlich und leicht an ihrer Brust. Ich zünde im Dunkeln Kerzen an. Meine Hand greift in den durchsichtigen Plastikbeutel, holt kleine, runde Aluminiumschälchen mit weißem Wachs heraus. Ich reiße ein Streichholz an. Seit zwanzig Jahren ist meine Mutter tot. Zwanzig Jahre Tag für Tag.
    Die Klippen zeichnen sich vor der Leinwand des Himmels ab. Ich sehe Gespenster, im Licht herabstürzende Körper. Ich drehe mich um, und mein verbrauchtes Gesicht mit den matten, vor der Zeit gealterten Zügen spiegelt sich in der Glasscheibe. Claire schlägt kurz die Augen auf Chloé steckt den Daumen in den Mund und presst sich an ihren Rücken. Ich zünde mir eine Zigarette an, und die glühende Spitze bildet einen roten Kreis, einen leuchtenden Punkt mitten im Schwarz und Weiß. Auf dem Balkon, von dem ich den Strand überblicken kann, stehen sich zwei Liegestühle gegenüber. Ich strecke mich auf einem aus. Eine Decke schützt mich gegen die herabsinkende zunehmende Kälte. Mein Blick verliert sich im Westen.
    Ich bin einunddreißig, und mein Leben beginnt. Ich habe keine Kindheit, und von jetzt an ist mir jede recht. Meine Mutter ist tot, und die Meinen sind alle weg. Das Leben hat bei mir reinen Tisch gemacht, Claire und ich nehmen daran Platz, und Chloé hat sich mit ihrem zarten kleinen Lächeln selbst eingeladen.
     
    Ich bin einunddreißig, und so beginnt, in der Meeresnacht verloren, mein Leben. Hinter mir, kaum greifbarer als Schatten, zarter als ein Dunsthauch, sehen Claire und Chloé mich an, die Kleinere in den Armen der Größeren, beide in der Stille des Hotelzimmers erstarrt. Claire lächelt mir zu, dann schläft sie wieder ein, und der Atem der beiden wird eins.
     
    Hier ist die Nacht tief und schwarz vor Menschen. Meine Mutter geht wie eine traumwandlerische Fee über die Heide. Antoine und Nicolas, Lorette und die anderen tanzen mit geschlossenen Augen und dem Gesicht zum Himmel um die Flammen. Léa steht, einer Seiltänzerin oder Balancekünstlerin gleich, auf Zehenspitzen wie auf einem Faden am Rand, zwei Fingerbreit vom Abgrund.
     
     
     
     
     
    Ich war elf, als meine Mutter starb. Drei Tage vorher kam sie aus dem Krankenhaus, und alles war in gleißendes Licht getaucht. Sie hatte die vergangenen sechs Monate dort verbracht, und wir hatten sie nicht sehen dürfen. Das Wasserbecken, die aufgereihten Bänke, die große, zittrige Birke neben dem Klinikgebäude, die Tanne mitten auf dem Rasen, die blühenden Kirschbäume, an all dies erinnere ich mich nur vage.
    Wir warteten im Auto auf sie, mein Vater am Steuer seines grauen Ford Granada, mein Bruder und ich schweigend auf der Rückbank. Der Kunstlederbezug mit dem Wabenmuster klebte an unseren Schenkeln, hinterließ Abdrücke auf unserer feuchten Haut. Mein Vater trommelte mit den Fingerspitzen aufs Armaturenbrett oder spielte mit dem am Rückspiegel hängenden Wimpel von Paris Saint-Germain. Von Zeit zu Zeit drehte er sich um und ermahnte uns, die wir kaum zu atmen wagten, schön brav zu bleiben. Antoine nickte, und ich tat das Gleiche. Dann schloss ich die Augen, und die Sonne biss mir in die Backe.
    Plötzlich stieg mein Vater aus. Ich richtete mich
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