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Moor

Moor

Titel: Moor
Autoren: Gunther Geltinger
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des Riffs bauscht sich, will dich betten, doch ich reiße dich aus dem weichen Sarg und treibe dich weiter, im Sog der Ebbe immer weg von der Insel.
    Dein Leib, der an Land stets ein wenig plump wirkte und in letzter Zeit, durch die Gefräßigkeit eines anhaltenden Kummers, noch ungelenker geworden ist, tänzelt nun schwerelos in den trägen Schüben der Wassermassen, bogen- oder zeltförmig, mit dem Gesäß als Gipfel, inwärts gewandtem Gesicht und locker herabhängenden Gliedern, die im Strom aus- und um sich greifenden Finger tastend über dem mal schroffen, mal sandig kahlen Boden, als suchten sie an Steinen und den wogenden Zweigen des Horntangs einen Halt, und selbst noch als deine zufälligen und fast spielerischen Zärtlichkeiten mit dem Grund erlahmen und sich die Finger, auch die Arme und dein in der rhythmischen Bewegung des Wassers scheinbar noch atmender Rumpf, bei Eintritt der Leichenstarre versteifen, wirkt deine ziellose Wanderschaft durch die Tiefen wie die unbeschwerlichste deines soeben erloschenen Lebens.
    Erst nach Stunden beginnt die Gewalt. Ich zerre dich über Steine, schleife deinen Körper durch den Sand. Das austretende Blut ist im trüben Schein kaum zu sehen, doch die Tiere haben dich längst gewittert. Krebse zernagen die Haut, Fische kosten von der seltenen Beute, erste Algensporen besiedeln den nahrhaften Wirt. In einem Graben stößt ein Nagelrochen aus dem Schlamm, der ihn tarnt. Aufgeschreckt durch deinen Schatten, schwingt er hoch, auf der flachen, helleren Unterseite zeichnet sich schemenhaft der Umriss der Eingeweide ab. Er umkreist dich, knabbert kurz an der Schulter, schwebt noch eine Weile über dir, seine auf und ab wallenden weißen Flanken wie ein langsamer Flügelschlag, der Flug lautlos, traumhaft, unirdisch, ein Engel der Wassertiefen. Dann dreht er ab, nimmt das letzte Glimmen in deinen Augen, oder was einmal deine Seele war, mit fort.
    Dein Gesicht dunkelt ein und quillt auf. Die Fingerbeeren verschrumpeln, platzen, irgendwann streift dir die Strömung die Waschhaut wie einen Handschuh von den Knöcheln. Zwischen dir und mir verschwimmen die Grenzen, ich dringe mühelos in dich ein, durch Anus, Poren und deinen offen stehenden Mund. Deine Adern sind nun kalt und weit, das Blut darin ist fast ausgeschwemmt, die Züge kaum mehr menschlich, aufgebrochen, mit krustigen, von Placken übersäten Lippen, am ähnlichsten noch einer Moräne, dem hässlichsten meiner Bewohner, du bist jetzt einer von mir.
    Ein Aal reißt dir ein faustgroßes Loch in die Brust, ein anderer, viel kleinerer, frisst das Auge aus der Höhle, schlüpft dann hinein. In deinem Hirn entsteht ein neues Paradies, besiedelt von Lebewesen, die du selbst im drückendsten deiner Träume nie gesehen hast. Irgendwann steigt dein vom Faulgas gedunsener Leib in die mittleren Wasserschichten auf. Mit den teils schon aufgelösten Gliedern, von denendie Haut in Fetzen hängt, bist du wie ein helles, durchscheinendes Tuch, das ich in Schleifen vorwärtsbewege, mit der steigenden Flut hin zum Land. Dort, in der Brandung, vollführe ich mit dir noch einmal den ekstatischen Tanz des Ertrinkens, nur in umgekehrter Richtung. Bald habe ich genug von dem Spiel und werfe dich in den Sand. Bevor man dich findet, haben die Schnabelhiebe der Möwen dein Gesicht endgültig ausgelöscht.
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