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Moor

Moor

Titel: Moor
Autoren: Gunther Geltinger
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Binsen, robbten mal hierhin, mal dorthin und reckten die Köpfchen, auf der Suche nach den Zitzen der Mutter. Hannes stieß einen Laut aus, der nun ebenfalls maunzend wie von einer Katze klang, die ihre Jungen verrecken sieht. Scheißviecher!, fluchte er und schaufelte den zappelnden Welpenhaufen unter dem Stromdraht hindurch, zu den Kühen, die dort in einer Reihe standen. Sie kauten, glotzten und funkten, was sie sahen, an die höhere Macht.
    Er zeigte zum Hof des Bauern Öhlke und zischte: Dahin! Dort gibt’s Fressen, entnervt, doch nicht ohne Zärtlichkeit in der Stimme, als tadelte er eine Schar unfolgsamer Kinder. Tatsächlich machten die Tiere unter dem Zaun kehrt und krochen zurück in den Schutz seines Schoßes. Da packte er das piepsende schwarzweiße Gewimmel in seine große Hand und steckte die Kätzchen eins nach dem anderen zurück in den Sack, der neben ihm im Gras lag. Er schwang sich den Beutel über die Schulter, knotete ihn, zurück an der Maschine, am Gürtel fest, grätschte sich auf den Sattel undtrat die Zündung. Drüben senkten die Kühe zufrieden die feucht glänzenden Nüstern ins Gras.
    Du bist aus deinem Versteck hervorgetaucht, gleichermaßen erleichtert wie bestürzt über die missglückte Verbannung, doch auch ein wenig stolz, Hannes in diesem schwachen Moment gesehen zu haben, für den er sich anscheinend so sehr schämte, dass er, statt das kurze Stück nach Kleenze auf der Landstraße zu fahren, den mühsamen und gefährlichen Umweg durchs Moor genommen hatte. Du wusstest nicht, was du in diesem Moment mehr bedauern solltest – das ungewisse Schicksal der Maikätzchen, Hannes, der nun die ganze Verantwortung dafür trug, oder das verwüstete Feld des Sonnentaus, der unter den Reifen wegspritzte, als Hannes mit aufheulendem Motor durchstartete, am Schenkel den schlackernden Katzensack. Und wegen eines solchen Weichlings, Dion, machst du dir jetzt fast in die Hose?
    Ein Geräusch reißt dich aus deinen Gedanken. Hannes steht wieder näher, in der Faust einen Stock. Du zuckst zurück, er grinst mit schiefem Mund, lässt die zersplitterte Spitze in seine Handfläche schnalzen, prüft die Härte, riecht am Holz, bricht es dann in der Mitte entzwei, ein Knacken, das dir tief in die Knochen fährt. Das brennt hier wie Zunder, sagt er, wirft die Stücke weg, kommt noch einen Schritt auf dich zu. Der Pinkeldruck wird stechend, du ziehst die Bauchdecke ein, spürst, wie ein Tropfen abgeht. Halt, flüstert er und hebt die Hand, nicht bewegen jetzt! Die Föhren sind näher gerückt, fassen sich gegenseitig an den Zweigen, bereit, das Schauspiel zu verdecken. Du hältst die Luft an, spannst schon die Muskeln an gegen den Schlag. Drüben am Waldrand strahlt der Mittag, ein weißes Loch zwischen den Bäumen, gefüllt mit Sonne und Rauch.
    Keine Angst, Dion, es wird nicht lange wehtun. Nur ein kurzer Schmerz, der dich aus deiner Taubheit reißt. Du sackst weg, richtest dich dann wieder auf, holst Luft. Hast viel zu lange nicht geschrien. Das Dorf ist weit weg, du hast es endgültig hinter dir gelassen.
    Jemand hat am Heidedamm den Qualm gesehen. Hinter den rasch sich verdunkelnden Schwaden wirkt das Haus noch ferner und verlassener, dem Dorf abgewandt, ein unzugänglicher Ort weit draußen im Moor. Die Feuerwehr ist an einem anderen Ort im Einsatz; als der Löschtrupp endlich eintrifft, stehen die Dörfler bereits auf der Straße Spalier, Kinder laufen hinter den Fahrzeugen her, wehren sich gegen die zupackenden Mütter. Zwischen Scheune und Torfstich steht die graue, wabernde Wand, in der sich die Blicke verlieren. Der Wind treibt glühende Nester auf die Veranda, an der Wand des Schuppens loht das trockene Gestrüpp. Polizisten drängen die Schaulustigen zurück, versperren die Zufahrt. Die Männer in den Schutzanzügen rollen Schläuche aus, die wie leere Schlangenhäute im Gras liegen, sich dann blähen und hochzucken. Die Düsen zielen blind in die Rußwolke, an der Scheune splittert eine Scheibe.
    Die Streifenwagen fahren Patrouille. Sie umkreisen die Ebene, kontrollieren jeden Feldweg, auf der Suche nach Rauch. Die Ferngläser sind scharf gestellt. Auf der feingerasterten Landkarte ist euer Platz schon markiert. Vor der Wache in Zeeve knacken die Funkgeräte. Noch ein paar Minuten, dann sind sie hier. Wo ihr jetzt steht, wird zwischen den Bäumen das rotweiße Band flattern. Der Blick zurück ist Sperrgebiet, das Betreten des Geländes bis auf weiteres untersagt. Vergessen droht.
    Hannes
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